Die Briefe des Landwirts Wilhelm Grübele aus Unterweissach an seine Familie von der Front des Ersten Weltkriegs sind Grundlage einer szenischen Lesung der ganz besonderen Art. Weltgeschichte wird fassbarer durch den lokalen Bezug, aus abstrakten Fakten werden Schicksale.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Weissach im Tal - „Lieber Wilhelm, es hieß, du seist gefallen, da wurde uns anderst ums Herz. Wenn ich nur dieses nicht erleben muss.“ Die ganze Angst Pauline Grübeles um ihren Ehemann springt einem aus dem Brief entgegen, den die Bäuerin aus Unterweissach im Ersten Weltkrieg an ihren Wilhelm geschrieben hat. „Wie oft, wenn ich ins Bett geh, sag ich, ich hab ein Bett, aber der Wilhelm hat kein Bett. Herr, erbarm dich doch über meinen Wilhelm.“

 

Was der fromme Bauer aus dem Weissacher Tal an der Front in Frankreich erlebt, macht aus ihm einen anderen Menschen, so entsetzlich ist das Inferno, dem er sich ausgesetzt sieht. „Wir sind nun drinnen in der Hölle und es spottet jeglicher Beschreibung wie es hier aussieht.“ Eindringlich schildert er den Seinen, wie es in den Materialschlachten in Lothringen und an der Somme zugeht. „Es ist ein fürchterlicher Totengeruch, es kann nichts begraben werden, die Artillerie schießt wie toll. Armes Frankreich, wie siehst du nur aus? Man ist froh, wenn man unter der Erde ist.“

Weltgeschichte wird durch lokale Geschichte greifbar

Wilhelm Grübele überlebt den Krieg und weist seine Familie an, sämtliche Briefe, Karten und Fotografien aufzubewahren – als Mahnung an spätere Generationen, sich nicht wieder von mörderischen Kriegstreibern verleiten zu lassen. Seine Urenkelin Manuela Stricker hat die Korrespondenz vor wenigen Jahren aufgearbeitet und zusammen mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Stricker, ein außergewöhnliches Projekt daraus gemacht: eine szenische Lesung mit Musik und direktem Bezug zum Heimatort. Entstanden ist eine Inszenierung, die betroffen macht. „Wir machen Weltgeschichte durch die lokale Geschichte greifbar“, sagt Markus Stricker

Dazu hat sich neben den Strickers eine Schar von acht Akteuren zusammengetan. Unter anderem Jürgen Hestler, der Vorsitzende des Heimatvereins Unterweissach, dessen Museum im Wohnhaus der Familie Grübele zu finden ist. Der SPD-Kreisrat und frühere Gymnasiallehrer hat im Archiv des Murrtalboten Meldungen und Todesanzeigen von Soldaten aus dem Flecken recherchiert, die verlesen werden. „Wir haben schon Aufführungen vor Schulklassen aus der Umgebung gemacht. Da kamen im Anschluss Kinder und haben gesagt: Sie haben grad unseren Familiennamen vorgelesen“, erzählt Markus Stricker. Wie sich herausstellte, handelte es sich tatsächlich um Vorfahren der Kinder. Da wird aus einem abstrakten Thema plötzlich etwas persönliches. „Sogar quirlige Klassen wurden mucksmäuschenstill.“

Bekannte Lieder in ungewohntem Arrangement

Zu den Todesnachrichten erklingt das Uhland-Lied „Ich hatte einen Kameraden“, allerdings auf eine andere, unpathetische Weise, als man sie sonst kennt. „Wenn man das Tempo etwas rausnimmt, kommt da was ganz anderes raus“, sagt Markus Stricker, der von Wendrsonn-Gitarrist Micha Schad musikalisch unterstützt wird. Und es wird gesungen – ohne instrumentale Begleitung. „So wie die Soldaten an der Front gesungen haben.“ Unter anderem „Lili Marleen“. „Das hat Hans Leip 1915 geschrieben, in der Nacht vom 3. auf den 4. April in der Berliner Maikäferkaserne.“

Den Titel „Warum Frida eigentlich Frieda heißt“, hat die Inszenierung der zweijüngsten Tochter der Grübeles zu verdanken. „Ich kam am 1. Januar 1919 auf die Welt. Es war der erste Tag des ersten Friedensjahres, nur zwei Monate nach Ende der Ersten Weltkrieges“, hört man Frieda erzählen. Wilhelm Grübele besteht darauf, das Kind Frieda zu taufen. Durch den Krieg ist er zu einem überaus kritischen Geist geworden. „Wenn ich lebend aus dieser Hölle herauskomme, werde ich nie mehr die Konservativen wählen, die sind nämlich schuld, wenn der Krieg so lange dauert.“

„Lieber Vater, komm nur bald wieder heim.“

Doch nur 14 Jahre nach der Geburt Friedas sind wieder die Scharfmacher an der Macht. Und Grübeles pazifistische Haltung, aus der er keinen Hehl macht, ist den neuen Machthabern ein Dorn im Auge. „Er ist von den Nazis mehrmals verhaftet und für Tage eingesperrt worden“, sagt Markus Stricker. Der Nazi-Lehrer im Flecken, der seinen Namen ändert, weil er ihn für zu jüdisch hält, will, dass die Grübeles Frieda umbenennen. „Doch das wollten sie nicht, sie nannten sie nur Frida statt Frieda.“

In einer Zeit, da allerorten nationalistische Scharfmacher wieder Zulauf haben, weist die Inszenierung darauf hin, welche Folgen das haben kann – ohne erhobenen Zeigefinger. Die Briefe sprechen für sich, etwa jener des neunjährigen Gottlieb: „Lieber Vater, komm nur bald wieder heim, ich tu dich sehr vermissen. Ich möchte nur einmal meinen Vater wieder sehen.“

Von Frida und Frieda – Aufführung im Theaterhaus

Termin
Die nächste Aufführung findet am Sonntag, 25. November, um 19 Uhr im Theaterhaus Stuttgart statt. Die Karten kosten im Vorverkauf 13 Euro. Weitere Auskünfte und Reservierungen gibt es täglich telefonisch von 10 bis 21.30 Uhr unter 0711/4 02 07 20.

Besetzung
Manuela Stricker liest aus den Briefen von Wilhelm und Pauline Grübele, Jürgen Hestler spielt den nationalistischen Lehrer Ratzer. Manuel Wöller, Bernd und Dietmar Fehrle treten als Soldaten auf, Agnes Wöller als Krankenschwester. Markus Stricker und Micha Schad (Wendrsonn) sorgen für die Musik.