Neuer Lebensraum für Wasserskorpion und Wanderfalke: Im stillgelegten Schotterwerk bei Weiler zum Stein lernen Kinder die Natur kennen.

Leutenbach - Das Paradies liegt am Rand von Weiler zum Stein. Zumindest, wenn man eine Schnirgelschnecke, eine Wechselkröte, ein Wanderfalke oder ein passionierter Naturfreund ist. Zur letzteren Gattung gehören Werner Fleischmann und William Patrick. Die beiden Männer sind Mitglieder der Naturschutzbundgruppe (Nabu) Winnenden und schauen oft im stillgelegten Steinbruch bei Weiler zum Stein vorbei, den sie „ein Paradies“ nennen. In das Refugium nehmen sie regelmäßig Kinder mit, denn, so sagt William Patrick: „Wenn man ein Tier oder eine Pflanze kennt, dann schützt man sie auch.“

 

Unterricht im Grünen

Miriam Holzwarth, die als Lehrerin an der örtlichen Grundschule arbeitet, sieht das genauso. Sie ist mit ihren Klassen häufig im Grünen unterwegs – zum einen, weil es ihr Spaß macht, zum anderen, weil sie immer wieder feststellt, dass bei manchen Kindern großer Nachholbedarf in Sachen Natur herrscht. Im vergangenen Schuljahr war sie mit ihren Erstklässlern im Wald. „Am Anfang waren die Kinder sehr ängstlich und wussten gar nicht recht, was sie dort machen sollen“, erinnert sie sich. Heute sei der Wald ein großer Spielplatz für die Kinder – und auch im Steinbruch, den die frischgebackenen Zweitklässler in diesem Schuljahr unter die Lupe nehmen wollen, wird es den Buben und Mädchen nicht langweilig. „Ich hab’ eine Schnecke gerettet“, ruft es aus einer Ecke, „ich hab’ ein Ei gefunden“ aus der anderen.

Mehr als 700 Arten leben im alten Steinbruch

Tiere und Pflanzen gibt es auf dem acht Hektar großen Gelände des seit sieben Jahren still gelegten Steinbruchs genügend zu entdecken. Mehr als 700 Arten haben die Nabu-Mitglieder aufgestöbert und verzeichnet, seit sie vor gut drei Jahren den Auftrag bekommen haben, das Areal zu betreuen. Der Steinbruch gehört der Firma Klöpfer, die dort über viele Jahre Muschelkalk abgebaut hat. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist das „Hirschgeweih“, das der kleine Marc stolz anschleppt und das sich als ein fingerdicker, bizarr verdrehter und verrosteter Metalldraht entpuppt.

Eigentlich sollte das Steinbruchgelände nach dem Abzug der Bagger im Jahr 2005 komplett mit Erdreich aufgefüllt und bepflanzt werden, um die ursprüngliche Topografie wieder herzustellen. Doch als man sich daranmachte, das Wasser aus der früheren Schottergrube abzupumpen, wurde schnell klar, dass sich eine seltene Art den bis zu 20 Meter tiefen See als Laichgewässer ausgesucht hatte: die Wechselkröte. „Die Wechselkröte und andere Kröten legen ihren Laich dort in den See, wo das Wasser flach ist und sich schnell erwärmt“, erklärt Werner Fleischmann.

Derweil drängen sich fünf Kinder um einen Lupenbecher mit lebendem Inhalt. Im Wasser strampelt ein Tier mit Fangarmen und einem langen stachelartigen Fortsatz am Hinterleib. Ein Wasserskorpion erfahren die Kinder, der anders als sein Namensvetter komplett ungefährlich ist und eigentlich zur Familie der Wanzen gehört. Der lange Stachel ist ein Atemrohr.

Ein Minibungalow für Familie Falke

Ein Zuhause für Familie Falke

Auch die 22 Meter hohe Steilwand dient einer seltenen Art als Zufluchtsort. „Dort haben wir Wanderfalken entdeckt, die in einer Felsnische gebrütet haben“, erzählt Fleischmann. Allerdings sei das Loch zu klein gewesen und ein Jungtier aus dem Nest gefallen. Mit Unterstützung der Bergwacht hat der Nabu einen Minibungalow für Familie Falke in die Felswand bugsiert. „Der Kasten ist immer belegt“, sagt Fleischmann, der vermutet, dass das Wanderfalkenpaar, das in diesem Jahr vier Junge aufgezogen hat, das einzige im Rems-Murr-Kreis ist. Mit bis zu 300 Stundenkilometern jagt der Vogel seiner gefiederten Beute, zum Beispiel Tauben, hinterher.

Im Steinbruch fühlen sich auch Teichhuhn, Eisvogel oder Zwergtaucher wohl. Die Wechselkröte ebenfalls, allerdings sei es höchste Zeit, dass den wuchernden Erlen und Robinien und der Verbuschung Einhalt geboten werde, sagt Werner Fleischmann: „Sonst sind die Kröten irgendwann weg.“ Über kurz oder lang wird deshalb vermutlich noch eine andere Tierart zumindest vorübergehend den Steinbruch beziehen: Schafe oder Ziegen, die als Rasenmäher dafür sorgen, dass der renaturierte Steinbruch das bleibt, was er ist – ein kleines Paradies.