Dicke Luft zwischen Krankenkassen und Pharma-Konzernen: Die AOK im Südwesten wehrt sich gegen Vorwürfe, ihr Modell der Rabattverträge verschärfe Lieferengpässe bei der Medikamentenlieferung.

Berlin - Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) haben sich am Donnerstag massiv gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, die Praxis der Rabattverträge sei Ursache für die immer häufiger vorkommenden Lieferengpässe bei Arzneimittel. Tatsächlich ist um die Rabattverträge gerade ein Streit entbrannt, weil besonders von Seiten der Pharmabranche die Forderung erhoben wird, dass Rabattverträge nicht nur mit einem Anbieter geschlossen werden dürfen.

 

Rabattverträge senken die Preise

Rabattverträge schließen Krankenkassen mit einem oder mehreren Arzneimittelherstellern über die exklusive Belieferung der dort Versicherten mit bestimmten Produkten des Herstellers. Die Anbieter gewähren dabei Rabatte, weil sie im Gegenzug als einziger Lieferant ein höheres Absatzvolumen einplanen können. Kritiker dieses Vorgehens weisen darauf hin, dass als unerwünschter Nebeneffekt Engpässe auftreten können, wenn beim einzigen Anbieter plötzlich Produktionsprobleme oder der Ausfall ganzer Chargen auftreten.

Die AOK, besonders die AOK Baden-Württemberg, gilt als Vorreiter bei den Rabattverträgen. Der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes Martin Litsch sprach am Donnerstag in Berlin von „Desinformationskampagnen von Pharmalobby und Apotheken“. Die Politik dürfe der „Pharma-Inszenierung“ nicht auf dem Leim gehen. Er wies darauf hin, dass die wirklich drängenden Lieferengpässe im Krankenhaus aufträten. Im Klinikbereich gebe es aber gar keine Rabattverträge.

Deutschland macht vier Prozent des Weltmarktes aus

Christopher Hermann, der Chef der Südwest-AOK, wies darauf hin, dass sich nichts verbessere, „wenn drei Unternehmen den Zuschlag erhalten, deren Produkte aber alle aus derselben Fabrik kommen“. Hermann wies auf AOK-Analysen hin, die zeigen, dass bei den Anbietern nicht patentgeschützter Arzneimittel die Lohnherstellung, also die Herstellung im Auftrag eines anderen Unternehmens die Regel sei.

Unter 193 in Europa tätigen Herstellern fänden sich nur elf kleinere Firmen, die tatsächlich selbst produzierten. Von den Arzneimitteln zu 230 generischen Wirkstoffen würden 93 Prozent in der EU ausschließlich über Lohnhersteller produziert. Hermann: „Die meisten pharmazeutischen Unternehmer in Deutschland haben also noch nie ein Arzneimittel selbst hergestellt.“

Der Einfluss der Rabattverträge auf die Entscheidungen der global agierenden Pharmakonzerne sei gering, am globalen Generika-Markt habe Deutschland einen Anteil von gerade vier Prozent. Tatsächlich der Grund für Lieferengpässe in „einer globalen Unterproduktion“ angesichts weltweit wachsender Nachfrage zu suchen.

„Transparenz über die gesamte Lieferkette“

Hermann forderte zur Bekämpfung von Lieferengpässen Transparenz und „verpflichtende Meldungen“. Diese erfolgen bislang freiwillig. Es müsse „eine gesetzliche Verpflichtung zur Meldung der verfügbaren Kapazitäten auf dem Markt geben“, sagte Hermann, „und zwar über die gesamte Lieferkette. Es müsse auch ersichtlich sein, welche Größenordnung gerade in einem anderen Markt verlagert werden, weil dort gerade höhere Gewinne zu erzielen sind“. Hermann würde auch den Aufbau einer nationalen Arzneimittel-Reserve begrüßen, „mit der man temporäre Engpässe überbrücken könnte.

In der Koalition ist die Debatte um die Zukunft der Rabattverträge noch längst nicht abgeschlossen. Das zeigt eine Stellungnahme des CDU-Arzneimittel-Experten Michael Hennrich. Der pflichtet der AOK zwar insofern bei, als auch er sagt: „Die Rabattverträge sind nicht der Grund für die Lieferengpässe.“ Aber er weist darauf hin, „dass allmählich die Grundversorgung ins Rutschen kommt.“ Deshalb würde er es begrüßen, wenn in der Zukunft mehrere Anbieter zum Zuge kommen müssten. Hennrich mahnt auch eine abgestimmte Strategie an, um wieder mehr Wirkstoff-Produktion aus Asien nach Europa zu verlagern.