Eigentlich sollte seit November die Ausstellung „Schwieriges Erbe – Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus“ zu sehen sein. Pandemiebedingt ist das nicht möglich. Die Veranstaltung „Koloniales Erbe in der Stadt“ als Teil der Schau haben rund 280 Menschen online verfolgt.

Stuttgart - Auf dem Ehrenfeld des Waldfriedhofs findet sich eine Stele zur Erinnerung an die württembergischen Soldaten, die zwischen 1884 und 1918 in den deutschen Kolonien ihr Leben gelassen haben – in Togo, in Kamerun oder in Deutsch-Südwestafrika. Aufgestellt wurde der Stein nicht etwa in großer Trauer unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens, sondern erst sehr viel später: 1929. „Die Ersteller dieses Gedenkstein wollten ihn ganz bewusst als Erinnerung an die große deutsche Kolonialgeschichte verstanden wissen“, berichtet der Historiker Markus Himmelsbach. Ein klarer Fall von nationalistischer Propaganda also.

 

Der Provenienzforscher des Linden-Museums ist einer der beiden Kuratoren der Ausstellung „Schwieriges Erbe – Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus“. Die Schau, die seit November zu sehen sein sollte, konnte pandemiebedingt nicht starten. Stattdessen finden nun einige Online-Veranstaltungen zum Thema statt. So am Mittwochabend unter dem Titel „Koloniales Erbe in der Stadt“ ein sogenanntes Werkstattgespräch, das im Internet live übertragen wurde.

Fragwürdiges wird kaum hinterfragt

Einleitend referierte Himmelsbach über die Hinterlassenschaften der imperialen Phase der deutschen Geschichte in Stuttgart und der Region. Die zentrale Frage dahinter: Wie soll die Stadtgesellschaft auf dem Hintergrund der aktuellen Denkmaldebatte künftig mit diesen Relikten umgehen? Der Stein auf dem Waldfriedhof, sagt Himmelsbach, stehe dort bis heute unkommentiert. Und das, obwohl bereits ein zeitgenössischer Journalist in der „Deutschen Arbeiterzeitung“ anlässlich der Installierung betonte, das Denkmal versteinere „den blutigen Massenmord“. Eine Erkenntnis, die offensichtlich bald wieder vergessen wurde. Weitere Hinterlassenschaften mit kolonialen Bezügen, die Himmelsbach beispielhaft nennt, sind neben dem Linden-Museum die Mauserstraße in Feuerbach, benannt nach den Oberndorfer Waffenherstellern Wilhelm und Paul Mauser, die die Kolonialtruppen belieferten. Oder auch die Konrad-Adenauer-Straße. Brisant hierbei: Der spätere Bundeskanzler war 1931 bis 1933 Stellvertretender Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft und betonte damals noch, dass das Deutsche Reich „unbedingt den Erwerb von Kolonien“ anstreben müsse.

Die folgende Diskussion unter der Leitung der Anthropologin Regina Sarreiter, die zeitweise online bis zu 280 Zuschauer verfolgten, setzte den Akzent dann auf die wichtige Frage, wie in diesem Zusammenhang in der Stadt künftig überhaupt Entscheidungen herbeigeführt werden können. „Wie schaffen wir Strukturen, in denen eine Bearbeitung und Konfrontation mit dem kolonialen Erbe möglich sein wird?“, fragte Sarreiter in die Runde.

Heftiger Streit gehört hier dazu

Dass dabei heftig gestritten wird, sei „nicht die Ausnahme, sondern die Regel“, sagt der deutsch-namibische Historiker Joachim Zeller, der aktuell an einem Projekt zum Wissmann-Denkmal in Hamburg arbeitet. Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner betont, dass dieser Diskurs aus möglichst vielen Perspektiven geführt werden müsse, was sich nicht zuletzt im Zuschnitt der künftigen Stelle für die Koordination der Erinnerungskultur in der Stadt niederschlagen solle. Carina Flaig und Kousar Qasim, Gründungsmitglieder der Black Community Foundation in Stuttgart, wollen die Debatte möglichst tief in der Zivilgesellschaft verankert wissen: „Es müssen auch künftig Menschen mit dem Thema konfrontiert werden, die es eigentlich nicht erreicht“, sagt Flaig.

Dass das öffentliche Gespräch über den Postkolonialismus der Gegenwart ohnehin nicht ohne profundes Wissen über die Geschehnisse der Vergangenheit vonstattengehen kann, darauf macht Nadine Seidu von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland aufmerksam. Doch wer vermittelt dieses Wissen hierzulande? Wer erzählt, was geschehen ist? Fakt sei: Auch in den Unis werde das Thema immer noch zu oft aus weißer Perspektive vermittelt. „Kolonialgeschichte funktioniert aber nur von beiden Seiten aus“, sagt Seidu. Die Widerstände sind in Deutschland nach wie vor groß, lässt Tahir Della durchblicken. Della, der mit zivilgesellschaftlichen Projekten zur Dekolonialisierung in Berlin Erfahrung hat, ist sich sicher: „Wir haben immer noch das Problem, die koloniale Vergangenheit als ein Unrechtssystem wahrzunehmen.“