Die bekannte Tübinger Notärztin Lisa Federle liest in der Leonberger Stadtbücherei aus ihrem kürzlich erschienen Buch. Der Sänger Dieter Thomas Kuhn begleitet sie.

Sie ist die wohl bekannteste Notärztin im Land, erst recht, seit sie früh zu Beginn der Coronapandemie mit ihrer Teststrategie von sich reden machte: Lisa Federle aus Tübingen. Die 61-Jährige ist mit ihrem vor kurzem erschienenen Buch „Auf krummen Wegen geradeaus“ auf Lesetour und kam jetzt auch in die Stadtbücherei. Viele Interessierte wollten hören, was die Medizinerin aus ihrem Leben zu erzählen hat. Die Veranstaltung für 100 Gäste, zu der die Stadtbücherei im Rahmen ihres 100-jährigen Bestehens eingeladen hatte, war schnell ausverkauft. „Wir hatten eine immense Nachfrage“, sagte die Leiterin Ingrid Züffle.

 

Lisa Federle kam nicht allein nach Leonberg, sondern brachte Freunde mit: den Schlagersänger Dieter Thomas Kuhn und den Gitarristen Philipp Feldtkeller. „Normalerweise spielen die Jungs nicht vor 100 Leuten, sondern vor 20 000“, sagte die Ärztin, was die Zuhörer mit viel Beifall quittierten.

Autorin und Sänger liefern sich Stichworte für Anekdoten

Überhaupt wurde aus der Lesung ein unterhaltsamer Abend, bei dem sich Federle und Kuhn mit Wortbeiträgen abwechselten, sich Stichworte lieferten für Anekdoten von gemeinsamen Erlebnissen und Kuhn passende Songs dazu lieferte. „Wir sind schon eine Weile mit diesen Lesungen unterwegs und haben uns überlegt, wie wir das musikalisch untermalen können“, erzählte der Sänger. Was könnte etwa besser passen, als nach einer Schilderung von Federle über eine Notlandung, die sie als Fluggast erlebte („Ich überlegte mir, ob ich mich mit einer letzten SMS von meinen Kindern verabschieden sollte“), den Song „Über den Wolken“ von Reinhard Mey zum Besten zu geben?

Mit 19 schon das zweite Kind

In ihrer unterhaltsamen, humorvollen, aber auch ernsten Autobiografie schildert die heutige Notärztin mit eigener Praxis, wie sie als 17-Jährige ohne Abschluss die Schule verließ, schwanger wurde und mit 19 schon ihr zweites Kind bekam. Sie liest aus dem Kapitel „Allein mit zwei Kindern“ vom Versuch, an Essen zu kommen und dabei aus Kisten, die an einem Supermarkt abgestellt waren, Schwarzbrot und Streichkäse mitnahm, „wovon die Familie die nächsten zwei Wochen lebte“. Das Erlebnis habe sie so mitgenommen, dass sie so etwas nie wieder gewagt habe. Sie beschreibt ihre finanziellen Sorgen und wie sie sich vorgenommen habe, dass sie anderen Menschen helfen wollte, wenn es ihr einmal besser gehen würde.

Bis sie ihren Traum, Ärztin zu werden, verwirklichen konnte, war es allerdings ein weiter Weg. Der führte sie zunächst als Wirtin in die Tübinger Studentenkneipe Boulanger. Dieter Thomas Kuhn, ebenfalls Tübinger, liest das entsprechende Kapitel aus dem Buch vor und sagt: „Sie hat schon mit 21 Jahren die Kneipe geführt. Dadurch war Lisa, lange bevor sie Notärztin wurde, bereits bekannt in Tübingen.“

Kandidatur für den Landtag scheitert knapp

Mit inzwischen drei Kindern legt sie mit 29 Jahren das Abitur auf dem Abendgymnasium ab, nachdem sie zuvor den Hauptschulabschluss nachgeholt hatte. Mit 37 Jahren und dann vier Kindern beendet sie mit der Promotion ihr Medizinstudium in Tübingen. Nach Jahren als Assistenz-Ärztin beginnt sie als Notärztin, seit 2004 als leitende Notärztin in Tübingen.

„Irgendwann war ich relativ bekannt in der Stadt, war gefühlt schon mal fast in jedem Haushalt“, erzählt sie augenzwinkernd, warum sie von der Kommunalpolitik entdeckt wurde. Sie wollte zwar in den Kreistag, aber nicht in den Gemeinderat, bekam trotzdem die meisten Stimmen bei der Wahl 2009 und saß für die CDU fünf Jahre im Stadtparlament. Eine vom früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel unterstützte Kandidatur für den Landtag scheiterte knapp an der Stimmenmehrheit der Grünen in Tübingen. Bis heute ist sie allerdings Mitglied im Kreistag.

Bekannt geworden mit rollender Arzt- und Testpraxis

Mit viel Humor erzählen Kuhn und Federle eine Geschichte aus dem Buch, wie sie bei Boris Palmer, dem Tübinger Oberbürgermeister, eingeladen waren, und es dort nur Erdbeeren, Apfelsaft und warmes alkoholfreies Bier gab. „Wir sind zur Tankstelle gefahren und haben Six-Packs Bier gekauft“, erinnert sich Kuhn und man merkt ihm an, dass ihm die Anekdote noch heute Spaß macht. „Fast hätten wir Oettinger gekauft, aber wir wussten nicht, ob der EU-Kommissar noch zur Fete kommt“, sagen die beiden lachend. Lisa Federle ist mit Günther Oettinger befreundet.

Über Tübingen hinaus bekannt geworden ist Lisa Federle zunächst durch die mit Spenden finanzierte rollende Arztpraxis, einem Fahrzeug, in dem sie Geflüchtete und später Obdachlose behandelte. Dieses wurde zu Beginn der Coronapandemie 2020 als Testmobil eingesetzt, denn schon früh hat die Ärztin auf die Teststrategie gesetzt, bei der zunächst in Pflegeheimen und Krankenhäusern auf Covid getestet wurde. Später gab es dann Schnelltests für jedermann.

Kuhn hält große Stücke auf Federle

Dieser „Tübinger Weg“ wurde durch große mediale Aufmerksamkeit bundesweit bekannt. Auch Kuhn und seine Bandmitglieder halfen beim Testen. „Diese Aktion hat uns zusammengeschweißt“, so der Künstler. Viele Leute seien dankbar gewesen, dass getestet wurde. „Ich glaube, wenn Lisa diese Vision, testen zu müssen, nicht gehabt hätte, dann wäre das noch beschissener ausgegangen“, sagt Kuhn sehr emotional. Die derart Gelobte schiebt einen Appell nach: „Jeder kann helfen, auch mit Kleinigkeiten“, sagt sie. „Das ist auch der Grund, warum ich das Buch geschrieben habe, um zu zeigen, dass es immer einen Weg gibt, egal, wie mies die Situation ist.“