Die bundesweit bekannte Tübinger Notärztin hat ihre Autobiografie vorgestellt – vor 500 Menschen, darunter vielen Prominenten. Dabei erzählte Schauspieler Jan Josef Liefers, warum er einmal in Unterhose in Federles Wartezimmer stand.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Lisa Federle war ganz unten: Ihre Mutter warf ihr eines Abends zwei Tüten mit Kleidung aus dem Fenster und sagte ihr, sie solle nie wiederkommen. Sie brach die Schule ab, machte nicht einmal den Hauptschulabschluss, mit 17 Jahren wurde sie schwanger und geriet ins Drogenmilieu, und einmal musste sie sogar Schwarzbrot und Frischkäse stehlen, um nicht zu verhungern. Und heute? Heute ist sie Deutschlands bekannteste Notärztin, saß in allen Talkshows, besitzt ein Haus auf Mallorca und ist befreundet mit Promis wie Innenminister Thomas Strobl oder Schauspieler Til Schweiger.

 

Lisa Federles Leben erinnert an ein Märchen – ein verstoßenes Aschenputtel, auf das niemand mehr einen Pfifferling setzt, welches es bis ganz nach oben schafft. Und fast noch märchenhafter ist es, dass ihre Erlösung nicht von außen kam, kein Prinz ritt vor ihrer Wohnung vor, vielmehr schaffte sie alles aus eigener Kraft, mit unbändigem Willen, Neugierde und Idealismus. Und mit sehr vielen Entbehrungen und ziemlich wenig Schlaf.

Mit ihrem Arztmobil und der Covid-Teststrategie wird sie bekannt

Am Montag stellte Lisa Federle im ausverkauften Tübinger Sparkassen-Carré nun ihre Autobiografie vor, die den sehr zutreffenden Titel trägt „Auf krummen Wegen geradeaus“. Denn schon mit neun Jahren habe sie gewusst, dass sie Ärztin werden wollte, erzählte sie vor 500 Gästen. Und diesen Traum habe sie, trotz häufiger zwischenzeitlicher Verzweiflung, nie aufgegeben.

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Dieser Wille, es schaffen zu können, aller Widrigkeiten zum Trotz, das fasziniert die Menschen an Lisa Federle vermutlich viel mehr als all ihre Erfolge, für die sie schließlich bekannt geworden ist. Schon 2015, in der Flüchtlingskrise, baute sie ein Wohnmobil zu einer rollenden Arztpraxis um und behandelte Menschen vor den Heimen. Und während der Pandemie setzte sie von Anfang an auf eine umfangreiche Teststrategie, um vor allem die Menschen in den Pflegeheimen zu schützen. Tübingens Modellversuch „Öffnen mit Sicherheit“ im Februar 2021 katapultierte sie dann endgültig ins Rampenlicht. Auch, weil sie damals ohne Angst vor großen Tieren immer ihre Meinung sagte und die Politik scharf kritisierte. Das tut sie natürlich bis heute: Obwohl sie die Impfungen gegen Covid-19 befürwortet, hält sie es für unverantwortlich, dass die Daten zu den Nebenwirkungen nicht viel gründlicher ausgewertet würden.

Lisa Federle kann nicht Nein sagen – das ist ihr Problem

Offensichtlich schätzt Lisa Federle aber die Gewichte in ihrem Leben ganz ähnlich ein, denn die Pandemie-Phase wird in ihrer Autobiografie eher en passant geschildert. Viel wichtiger ist es ihr, über ihre vier Kinder und über den engen Familienzusammenhalt zu sprechen. Und sie will ihren Alltag als Notärztin schildern. Denn dort entscheidet sich für Lisa Federle, was ihr wirklich wichtig ist: da zu sein für Menschen in Not, weit über das normale Maß eines Mediziners hinaus. Menschlich zu sein bedeutet für Lisa Federle, zu helfen, wo immer sie kann. Und wenn es etwas Negatives über sie zu sagen gibt, dann dies: dass sie nicht Nein sagen kann und alle Aufgaben annimmt, auch wenn sie damit Raubbau an sich selbst betreibt.

Den Schauspieler und Musiker Jan Josef Liefers hat sie bei einer Party bei Til Schweiger kennengelernt – am Montag saß er mit Federle auf der Bühne und bewies, dass er im wirklichen Leben ganz anders ist als der hochnäsige Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne im Münsteraner Tatort. Liefers war charmant, witzig und schlagfertig und machte aus der Lesung fast ein Theaterstück. So erzählte er, dass er einmal bei Lisa Federle im Gästezimmer übernachtete und am Morgen dringend aufs Klo musste. Was er nicht gewusst habe: Das Gästezimmer grenzte direkt an die Arztpraxis Federles, die in ihrem Privathaus untergebracht ist – und so sei er plötzlich in der Unterhose im ziemlich gut besetzten Wartezimmer gestanden. Er habe nur freundlich „Guten Morgen“ gesagt und habe dann weiter nach der Toilette gesucht.

Die Biografin entstand abends zwischen 23 und 1 Uhr

Scheinbar spontan bot er dann den Zuhörern an, ihn zu einer Privatlesung aus Federles Biografie buchen zu können, wenn diese dafür eine Spende an den Verein „Bewegt euch“ machten, den Federle und Liefers vor einem Jahr zusammen mit dem Moderator Michael Antwerpes gegründet haben. Dabei übernimmt der Verein alle Kosten und stellt Paten, damit benachteiligte Kinder ihren Lieblingssport ausüben können. Und auf Zuruf aus dem Publikum fügte Liefers noch an: „Wenn Sie mögen, lese ich auch im Tanga – aber das wird dann ziemlich teuer.“

Ihre Biografie hat Lisa Federle übrigens selbst geschrieben. Der anfängliche Versuch mit einer Ghostwriterin habe sie nicht überzeugt, so die Ärztin, und deshalb habe sie sich immer abends von 23 bis 1 Uhr selbst an den Computer gesetzt, die 1237 ungelesenen Mails in ihrem Postfach ignorierend, und einfach munter drauf los schreibend. Es überrascht schon etwas, dass sich Lisa Federle auch in diesem fremden Milieu bewährt – das Buch liest sich leicht, ist fast nie langweilig und geht vor allem weit über das bloße Nachbeten von Lebensstationen hinaus.

Krumme Wege im Leben sind kein Makel

Vielmehr erzählt sie, woraus sie ihre Kraft schöpft, nämlich aus dem Selbstwertgefühl, das ihr früh verstorbener Vater ihr mitgegeben habe, weil der sie geliebt und ihr Zuversicht vermittelt habe. Und natürlich will sie mit dem Buch anderen Menschen Mut machen, krumme Wege nicht als Makel in der Biografie zu begreifen, sondern als Chance. Oder wie Jan Josef Liefers es ausdrückte: „Es ist gut, wenn man im Leben die eine oder andere Abkürzung nicht genommen hat.“ Denn aus geraden Wegen kann nie ein Märchen werden.

Literaturangabe: Lisa Federle. Auf krummen Wegen geradeaus. Was mich bewegt und antreibt. Knaur-Verlag München, 304 Seiten, Preis 20 Euro.