Der Vorstoß von Verkehrsminister Hermann, Flüchtlinge zu Lokführern auszubilden, zeigt, wie angespannt die Lage bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen ist. In der Branche wird die Idee des Grünen mit Zurückhaltung aufgenommen.

Stuttgart - Das am Montag von unserer Zeitung publik gemachte Vorhaben von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), Flüchtlinge im Südwesten zu Lokführern auszubilden, zeigt, wie schwer sich die Eisenbahnunternehmen damit tun, Mitarbeiter in ausreichender Zahl zu finden. Seit Regionalverkehr auf der Schiene nicht mehr automatisch von der Deutschen Bahn AG organisiert wird, ist die Zahl der um die knappe Ressource Lokführer buhlenden Unternehmen angestiegen – mit Folgen für die Personalgewinnung.

 

Nach der gewonnenen Ausschreibung für den Regionalverkehr im Stuttgarter Netz mit Bahnstrecken nach Pforzheim, Mannheim, Heilbronn, Ulm und Tübingen genießt die Suche nach Triebfahrzeugführern und Zugbegleitern bei den siegreichen privaten Eisenbahnunternehmen absolute Priorität. Erfahrende Lokführer auf dem freien Markt zu finden oder von der ebenfalls auf der Suche befindlichen Deutschen Bahn (DB) abzuwerben, fällt den Privaten Go Ahead und Abellio sichtlich schwer. In Deutschland gibt es rund 30 000 Lokführer, es fehlen aktuell mindestens 1000, in Zukunft sind es noch viel mehr, weil die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Das baden-württembergische Verkehrsministerium beziffert das Personaldefizit in den nächsten Jahren allein schon auf 1000 Triebfahrzeugführer.

Nur fünf bis zehn Prozent der Quereinsteiger schaffen die Prüfung

Das Land als Besteller der Leistungen auf der Schiene in den Stuttgarter Netzen bewertet die Lage kritisch und versucht nun sogar mit Qualifizierungsmaßnahmen für Flüchtlinge selbst gegenzusteuern. In drei Regionen, unter anderem in Stuttgart, sollen je 15 Triebfahrzeugführer ausgebildet werden, deren Flüchtlingsstatus anerkannt ist. In der Branche geht man allerdings nicht von einem spürbaren Effekt aus: nur fünf bis zehn Prozent der Quereinsteiger schaffen tatsächlich am Ende die Prüfung. Zudem kommt ein nennenswerter Anteil, vor allem Abellio setzt darauf, heute schon durch die Vermittlung des Jobcenters und erhält die Qualifizierung über einen Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert.

Die beiden privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen benötigen je rund 300 Mitarbeiter, etwa die Hälfte sind Triebfahrzeugführer, zudem werden je rund 120 Zugbegleiter gesucht. Der Übergang der Leistungen von der Bahntochter DB Regio auf die privaten Eisenbahnunternehmen Go Ahead und Abellio Rail erfolgt zwischen Juni 2019 und Dezember 2020. Die DB-Tochter benötigt allerdings selbst Lokführer, sowohl für den Betrieb auf eigenen Strecken, aber auch für die S-Bahn.

Private Anbieter kooperieren mit der Deutschen Bahn

Mit Go Ahead soll vereinbart werden, dass der Konzern vorerst für drei Jahre weiter auf dem von der Tochter des englischen Konzerns zu betreibenden Stuttgarter Teilnetz mit seinen Lokführern unterwegs ist; das soll per Werkvertrag geregelt werden. Die Vereinbarung hätte den Vorteil, dass bis zu 60 Neulinge nicht irgendwo ihre Fahrstunden ableisteten, sondern bereits am künftigen Einsatzort, und das auf verschiedenen lokbespannten Zügen.

Die Ausbildung zum Triebfahrzeugführer dauert rund zehn Monate, in dieser Zeit werden die nötigen theoretischen und praktischen Kenntnisse vermittelt. Das Fahren im Realbetrieb lehrt etwa Abellio auf von ihr betriebenen Strecken in Deutschland. Go Ahead will das von der DB Regio erledigen lassen. Die Unternehmen erwarten von den Bewerbern, dass sie mindestens 20 Jahre alt sind, einen Haupt- oder Realschulabschluss besitzen, über ein technisches Grundverständnis verfügen oder eine berufliche Vorbildung haben. Bei Abellio heißt es, man müsse fließend Deutsch sprechen, schreiben und lesen können, einen Führerschein und ein Auto besitzen. Lokführer müssten „zuverlässig mit Sicherheitsbewusstsein und Einsatzbereitschaft“ ausgestattet sein und Flexibilität an den Tag legen. Das bedeutet, auch nachts und am Wochenende im Schichtdienst an den jeweiligen Einsatzorten zu arbeiten.

Die Schweizer Bahnen locken mit hohem Verdienst

Für viele Kinder ist Lokführer der Berufswunsch schlecht hin, die Arbeit in der Kanzel ist abwechslungsreich und verantwortungsvoll. Dem steht aber regelmäßige Schicht- und Nachtarbeit gegenüber, nach Unfällen mit Suizid kehren viele nicht zurück Lokführer beginnen mit einem Bruttogrundgehalt von etwa 2800 Euro pro Monat, das sich mit Zulagen um rund zehn Prozent erhöht. Außerdem gibt es eine Altersvorsorge und Vergünstigen wie Dienstkleidung und ein Tablet. Zugbegleiter beginnen mit einem Grundlohn von 2450 Euro, das kann sich auf rund 3000 Euro steigern. Wer als Quereinsteiger einen Kurs beginnt, erhält rund 2100 Euro brutto, scheitert er, hat das ausbildende Unternehmen Pech gehabt.

Ganz andere Beträge rufen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf, die seit Ende November in Baden-Württemberg ebenfalls um Aspiranten für den Lokführerjob suchen. 14 bis 16 Monate dauert dort die Ausbildung, die Kosten dafür beziffert man bei der SBB auf 120 000 Franken (rund 107 000 Euro), die das Eisenbahnunternehmen übernimmt. „Während der Ausbildung beträgt der Jahreslohn knapp 45 000 Franken. Nach der Ausbildung starten Lokführer mit einem Jahreslohn von 70 355 Franken“, erklärt SBB-Sprecher Christian Ginsig auf Anfrage. Bei der Personalakquise im Inland stoßen die SBB trotz dieser Verdienstmöglichkeiten auf Zurückhaltung. „Wir machen in der Schweiz die Erfahrung, dass jüngere Generationen weniger motiviert sind, den Beruf zu lernen, einerseits aufgrund der Schichtarbeit, andererseits auch aus Angst vor der Zukunft des Berufs“. Vor allem die fortschreitende Automatisierung des Betriebs sähen viele kritisch.