Es gibt kaum noch Bauland in Ludwigsburg und die Wohnungsnot ist groß. Immobilienexperten und Funktionäre fordern daher mehr Initiative beim Wohnbau.

Ludwigsburg - Die Stadt Ludwigsburg hatte zum Streitgespräch über die Wohnungspolitik geladen, gekommen aber sind nur Immobilienexperten und Kommunalpolitiker. Die meisten Redner bedauerten denn auch, dass nicht mehr Bürger gekommen sind. Zumal das Thema viele betrifft: die Wohnungssuchenden, die sich die Mieten nicht mehr leisten können, und die Eigenheimbesitzer, die gegen den weiteren Wohnungsbau Front machen – wie zuletzt in den Stadtteilen Sonnenberg und Neckarweihingen. Nach dem Auftakt im Jahr 2013 war es der zweite Runde Tisch zur Ludwigsburger Wohnbaupolitik.

 

In einem waren sich die Fachleute, Verbandsfunktionäre und Politiker rasch einig: es muss gebaut werden, denn der Wohnungsmarkt ist leer gefegt. Und: es wird nicht ohne Schmerzen abgehen. Die Wohndichte wird zunehmen und so manchem wird man die schöne Aussicht verbauen. Aber eine Stadt, die keine Wohnungen anbieten könne, verliere bald auch Gewerbebetriebe, mahnte Robert an der Brügge vom Verband der baden-württembergischen Wohnungs und Immobilienunternehmen: „Wer schrumpft, verliert den Wettbewerb.“

1254 Personen auf der Warteliste

Insgesamt zeichneten die Fachleute und Funktionäre ein düsteres Bild: Demnach stoße jede Baulandoffensive rasch an ihre Grenzen, weil die Markung nicht mehr viel hergebe. Außerdem seien – wie in der ganzen Republik – zu lange keine Sozialwohnungen mehr gebaut worden, es fehle bezahlbarer Wohnraum. „180 Wohnungen verlieren in den nächsten Jahren die Mietpreisbindung“, sagte Peter Fazekas vom Referat Nachhaltige Stadtentwicklung. „Und auf der Warteliste stehen 1254 Wohnungssuchende.“

Das kommt nicht völlig überraschend und Verwaltung und Gemeinderat hatten sich schon 2013 auf eine Liste mit Potenzialflächen verständigt – also auf Areale, in denen bis 2020 neu gebaut oder nachverdichtet werden kann. Im gleichen Jahr wurde auch im Grundsatz beschlossen, dass wo gebaut wird, bis zu 20 Prozent kostengünstiger Wohnraum geschaffen werden müsse. Als es aber im vergangene Jahr darum ging, die fortgeschrittenen Konzepte für das Baugebiet Hoher Rain in Neckarweihingen (50 bis 100 Wohneinheiten), eines im Südwesten des Stadtteils Grünbühl-Sonnenberg (70 bis 100 Wohnungen) und das sogenannte Entwicklungsgebiet Oststadt/Oßweil (500 bis 750 Wohnungen) voranzutreiben, traten die Stadträte auf die Bremse.

An allen drei Standorten hatte es Proteste von Anwohner gehagelt. „Sie haben uns den Auftrag erteilt, Grunderwerbsverhandlungen zu führen“, sagte darum jetzt Oberbürgermeister Werner Spec an die Adresse des Gemeinderats gerichtet. „Nun möchten wir wissen, in welcher Dynamik das weitergehen soll.“

Abstriche beim Standard

Der OB habe das missverstanden, meinten daraufhin Margit Liepins (SPD) und Reinhardt Weiss (FW), ihre Fraktionen hätten die Projekte nicht ausbremsen wollen. Allerdings müsse es wohlüberlegt sein, nicht zuletzt in Bezug auf die Dichte der Bebauung. Natürlich dürfe nicht zu eng geplant werden, meinte Stadtplaner Martin Kurt. Aber wenn nichts unternommen werde, sei das für alle schlecht. Im Grunde habe die Stadt keine Wahl, bauen bringe immer Veränderungen mit sich. „Wir dürfen uns nicht von den Anwohnern irritieren lassen“, sagt Kurt. „Der Druck der Nachbarn wird nicht nachlassen“, sagt auch an der Brügge. Den gebe es überall, und obwohl er nachvollziehbar sei, müsse man sich im Zweifel darüber hinwegsetzen.

Seltene Einigkeit bekundeten die Kontrahenten von Haus und Grund (Helga Schneller) und Mieterverein (Eckart Bohn): beide sind der Ansicht, dass Mietpreise von 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter nicht zu hoch sind, weil das Bauen so teuer geworden sei. Robert an der Brügge meinte denn auch, der Gesetzgeber müsse endlich Abstriche bei den Standards machen, sonst könne bald niemand mehr bauen und erst recht niemand mehr diese Mieten zahlen.

Konflikte sind programmiert

Kommentar - Vielleicht ist es eine Eigenart der Ludwigsburger: geht es um Prestigeprojekte, messen sie sich gern mit anderen Kommunen – am liebsten mit Esslingen und Stuttgart. Geht es um Defizite, tun sie so, als gäbe es diese Probleme nur bei ihnen. Das führt oft dazu, dass die Verantwortlichen glauben, sie wären die ersten, die Antworten auf drängende Fragen finden müssten. Mit der mitunter fatalen Folge, dass viel Zeit verloren geht – so geschehen beim Wohnbau, wo seit Jahren statt einer klaren Linie nur ein Schlingerkurs gefahren wird.

Sollte der Runde Tisch, zu dem die Verwaltung jetzt geladen hatte, auch nur ein Gutes gehabt haben, dann dass er den Bürgervertretern klar gemacht hat, wie verbreitet Wohnungsnot und Flächenknappheit tatsächlich sind. Und dass viele Fehler gemacht wurden, weil Bund und Land zu lange von falschen Hochrechnungen ihn Bezug auf Wirtschaftsaufschwung und Bevölkerungswachstum ausgegangen sind. Aber auch, dass in anderen Städten schneller reagiert wird, und dass die Gefahr besteht, dass diese Ludwigsburg den Rang ablaufen.

Man kann nicht gleichzeitig stolz auf den Bevölkerungszuwachs sein und beim Wohnungsbau untätig bleiben. Ludwigsburg lockt mit den Gewerbebetrieben auch viele Arbeitnehmer an. Doch immer mehr von ihnen müssen auswärts wohnen, weil sie in der Stadt kein Domizil finden. Und viele, die bereits hier sind, müssen mit unwürdigen Quartieren vorlieb nehmen.

Der Gemeinderat hat es in der Hand. Bleibt er untätig, droht Stillstand. Gibt er grünes Licht für die Nachverdichtung, bleibt die Stadt lebendig. Dieser Weg wird kein leichter sein, Konflikte sind programmiert. Anwohner werden Widerstand leisten, sobald sie um ihre Aussicht bangen, und sie werden protestieren, wenn Straßen ausgebaut werden. Trotzdem dürfen die Räte nicht hinter ihre Beschlüsse von 2013 zurückfallen. Sie sollten vielmehr dafür werben – vor allem bei denen, die sich von den Plänen bedroht fühlen.