Ein Foto aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und die Recherche der Ludwigsburger Stolperstein-Initiative bringen späte Gewissheit über das Schicksal der Ludwigsburger Familien Greilsamer und Ottenheimer.

Ludwigsburg - Fast 70 Jahre lang hat Harry Grenville nicht gewusst, wie seine Eltern gestorben sind. Seit in der vergangenen Woche ein Foto mit dem Namenszug seines Vaters aufgetaucht ist, weiß er, dass sie 1944 in Auschwitz ermordet worden sind. „Das war ein ziemlicher Schlag für mich“, sagt der 86-Jährige in einer ersten Reaktion. Harry Grenville ist am 26. Februar 1926 als Heinz Greilsamer in Ludwigsburg geboren. Als er 13 Jahre alt war, wurden er und seine zwei Jahre jüngere Schwester Hannah mit einem Kindertransport nach England gebracht. Beide haben überlebt. Harry blieb in England, seine Schwester lebt heute in New York.

 

Die letzte Nachricht von den Eltern Jacob und Klara Greilsamer und der Großmutter Sara Ottenheimer haben sie 1944 erhalten. Damals teilte das Rote Kreuz mit, dass sie vom Konzentrationslager Theresienstadt aus in Richtung Osten transportiert worden seien. „Wir hatten nur indirekte Belege dafür, dass sie nach Auschwitz gekommen sind“, sagt Grenville. „Jetzt haben wir zum ersten Mal einen verbindlichen Hinweis darauf.“

Die Familie lebte in der Mathildenstraße

Die Stolperstein-Initiative Ludwigsburg hat wesentlich zu dieser späten Aufklärung beigetragen. Gudrun Karstedt hat in den Jahren 2008 und 2009 die Familiengeschichten Greilsamer und Ottenheimer erforscht und den Kontakt zu den Nachkommen hergestellt. Am 7. Oktober 2009 kam Harry Grenville mit Kindern und Enkeln nach Ludwigsburg, um an der Verlegung von drei Stolpersteinen vor dem einstigen Wohnhaus der Familie in der Mathildenstraße 8 teilzunehmen. Der Vater Jacob war bis zur Pogromnacht 1938 Inhaber eines Großhandels für Papier und Verpackung gewesen. „Es war eine sehr ergreifende Feier“, sagt Jochen Faber, der Sprecher der Initiative. „Herr Grenville hat das Totengebet für seine Eltern und seine Großmutter gesprochen.“

„Herr Grenville geht noch immer in Schulen, um als Zeitzeuge über die Nazigräuel zu berichten“, sagt Faber. Der 86-Jährige erklärt dazu: „Ich lege sehr großen Wert darauf, dass die Erinnerung an die jüngeren Generationen weitergegeben wird, kein Aufwand ist hierfür zu groß. Die jungen Leute müssen die Überlebenden treffen und ihnen zuhören.“

Gudrun Karstedt blieb seit 2009 in regelmäßigem Kontakt zur Familie. Als nun auf noch nicht ganz geklärte Weise die Aufnahme eines polnischen Fotografen, die einen Stapel mit Koffern im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zeigt, nach Ludwigsburg gelangte, sandte sie dieses Bild unverzüglich an den mittlerweile verwitweten und in einem Altenheim lebenden Greilsamer-Nachfahren.

Biologielehrer in England

Nach Kriegsende war Harry Grenville nach London gereist, um die Liste der Überlebenden der Konzentrationslager zu prüfen. Die Namen seiner Familien befanden sich nicht darunter, seither war er davon ausgegangen, dass sie in einem Vernichtungslager ermordet worden sind.

Nach der Flucht aus Nazideutschland hätten er und seine Schwester das Glück gehabt, bei einer Pflegefamilie in Cornwall aufgenommen worden zu sein, erzählt Grenville. Sie seien integriert worden und hätten das Gymnasium besuchen dürfen: „Wir waren glücklich. Viele andere Kinder, die herkamen, wurden nicht so gut behandelt.“ Bald nahm er den englischen Namen Grenville an, statt Heinz nannte er sich zunächst Henry, später Harry. Nach einem Studium am Londoner King’s College wurde er Lehrer. Bis zu seiner Pensionierung 1986 hat er an der Repton School in Derbyshire Biologie unterrichtet. Seine Schwester Hannah hat sich zunächst zur Krankenschwester ausbilden lassen, ging aber später als Bibliothekarin nach New York.

Namen auf Koffern

Initiative
Seit den neunziger Jahren bemüht sich eine Gruppe engagierter Bürger darum, den Platz der einstigen Ludwigsburger Synagoge an der Alleenstraße so zu gestalten, dass er etwas vom Leid der Deportierten und später ermordeten jüdischen Mitbürger erzählt. Erst im vergangenen Jahr hat man sich darauf geeinigt, dass das künftige Mahnmal eine Installation aus Koffern sein wird, die die Namen der Ermordeten tragen sollen. Der Initiativensprecher Jochen Faber fühlt sich durch die Grenville-Geschichte darin bestätigt. „Auch in diesem Fall hat ein Namenszug auf einem Koffer ein Stück Aufklärung gebracht“, sagt er.