Der Rolle des ehemaligen Reichspräsidenten Hindenburg ist umstritten – jetzt wird in Ludwigsburg auch über den Straßennamen gestritten. Die Kritiker, die eine Umbenennung fordern, erhalten dabei prominente Unterstützung.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Paul von Hindenburg: 80 Jahre nach seinem Tod ist der ehemalige Reichspräsident bekannter als so manches Mitglied der aktuellen Regierung. Fast jeder Deutsche weiß etwas über diesen Mann, nur eines ist Historikern nie gelungen – ein einheitliches Bild zu formen. Hindenburg war Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg, Monarchist und dennoch Repräsentant der Weimarer Republik. Die einen sehen in ihm einen Helden, die anderen einen Verbrecher. Manche betonen seine Distanz zu den Nazis, für andere war er der Steigbügelhalter auf Hitlers Weg zur Macht.

 

Großen Anteil an Hindenburgs anhaltender Bekanntheit dürften die Straßen haben, die seinen Namen tragen. Nach Angaben des Innenministeriums gibt es allein in Baden-Württemberg 128 davon.

Bald könnte es eine weniger sein. In Ludwigsburg werden jetzt Forderungen laut, die 1,3 Kilometer lange Hindenburgstraße, die von der B 27 in Richtung Osten führt, umzubenennen. „Bevor ich irgendwann einmal den Löffel abgebe, will ich, dass diese Straße nicht mehr so heißt“, sagt Jochen Faber, der Vorsitzende des Fördervereins Synagogenplatz. Schließlich sei ein Straßenname ein Symbol und die Benennung eine Ehre für Personen, „die wir besonders wertschätzen“.

Die Grünen haben die Debatte angestoßen

Prominente Unterstützung erhält Faber aus dem Landratsamt, das an eben dieser Straße liegt. „Ich würde eine Umbenennung begrüßen“, sagt der Landrat Rainer Haas. Auch die benachbarte Volkshochschule würde sich nicht gegen eine Änderung wehren. Briefköpfe, Visitenkarten, Wegweiser, Signaturen: all dies müsste angepasst werden, sagt die stellvertretende Leiterin Constanze Weis. „Aber das ließe sich alles regeln.“

Die Grünen hatten im Juli beantragt, dass das Stadtarchiv die Lebensläufe von umstrittenen Personen recherchiert, nach denen Straßen benannt sind – Hindenburg stand nicht auf der Liste. Der Antrag sei aber, sagt die Stadträtin Elfriede Steinwand, vor allem als Denkanstoß gedacht gewesen: „Wir sollten auch über Hindenburg nachdenken.“ Die CDU sieht keinen Handlungsbedarf. „Straßennamen stellen auch die Geschichte dar, die bessere und schlechtere Persönlichkeiten hervorgebracht hat“, sagt Claus-Dieter Meyer. „Niemand ist stigmatisiert, wenn er heute beispielsweise in der Carl-Peters-Straße wohnt.“ Man sehe daher keinen Anlass für Umbenennungen, und der Aufwand für die Anwohner sei zu hoch.

Auch nach „Hänge-Peters“ ist eine Straße benannt

Das Beispiel Carl Peters zeigt, wie weit die Meinungen auseinderliegen. Der Begründer von Deutsch-Ostafrika wurde wegen seiner mörderischen Aktionen im 19. Jahrhundert auch „Hänge-Peters“ genannt. Kommunen wie Bietigheim-Bissingen oder Korntal-Münchingen haben Carl-Peters-Straßen umbenannt, und auch der Ludwigsburger Bürgermeister Michael Ilk sagt: „Das ist kein Mensch, nach dem ich eine Straße benannt haben möchte.“ Bei anderen Personen, und dazu gehöre auch Hindenburg, sei dies aber weniger eindeutig.

Anfang 2015 soll das Thema in den Ausschüssen debattiert werden, dann müssen die Stadträte über die weitere Vorgehensweise entscheiden. Jochen Faber denkt weiter. „Mein Traum ist es, dass aus der Hindenburg- die Fritz-Bauer-Straße wird.“ Der in Stuttgart geborene Richter und Staatsanwalt hat eine bedeutende Rolle bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Zeit gespielt. „So ein Mann ist doch viel geeigneter als einer, der Hitler in den Sattel gehievt hat“, sagt Faber.

Pro: Die Straße muss umbenannt werden

Er hat es nicht verdient

Unser Redakteur Tim Höhn hält eine Umbebennung für notwendig

Hindenburg mag eine zwiespältige historische Figur sein, ein Mann mit vielen Facetten. Und er mag damit auch ein Repräsentant der an Brüchen reichen deutschen Geschichte sein. Aber eines war Hindenburg sicher nicht: ein Mensch, dessen Wirken wir heute noch besonders würdigen müssen. Aber genau darum geht es. Straßen werden nach Menschen benannt, an die sich die Gesellschaft erinnern will – oder soll. Es ist eine Ehre, eine Auszeichnung, einer Straße seinen Namen geben zu dürfen.

Moralische und auch politische Wertvorstellungen können sich im Lauf der Zeit wandeln. Nach dem Ende des Dritten Reiches, als zahlreiche Straßen in Deutschland umbenannt wurden, als die Adolf-Hitler-Plätze und Hermann-Göring-Straßen verschwanden, galt Hindenburg vielen noch als Held. Man sah, was man in ihm sehen wollte: einen Gegner der Nazis, einen tapferen Deutschen, den Monarchisten oder den Verteidiger der Republik. Sein Name jedenfalls blieb auf den Straßenschildern erhalten, in den allermeisten Städten bis heute.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Vor allem Historiker haben dazu beigetragen, dass Hindenburg heute als das gesehen wird, was er war: eben eine zwiespältige Figur. Als Chef der Obersten Heeresleitung hat er maßgeblich daran mitgewirkt, die Dolchstoßlegende in die Welt zu setzen – also die Verschwörungstheorie, die Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg sei von der verweichlichten deutschen Sozialdemokratie herbeigeführt worden. Ungewollt hat er Hitler damit die wohl wichtigste Zutat für die Propaganda gegen die Weimarer Republik auf dem Silbertablett serviert.

Auch Hindenburgs Rolle während des Krieges wird heute kritisch gesehen, ebenso seine ambivalente Haltung gegenüber den Nazis. Im besten Fall war er jemand, dem es nicht gelungen ist, dem Aufstieg Hitlers etwas entgegenzusetzen. Im schlimmsten Fall hat er diesen Aufstieg befördert. Für welche der beiden Alternativen man sich entscheidet, ist letztlich unerheblich. Ein Mann, dessen Biografie derart viele Flecken aufweist, taugt nicht als Namenspatron für eine Straße.

Contra: Die Umbenennung ist überflüssig

Zwischentöne zulassen

Unser Redakteur Markus Klohr hält nichts von Aktionismus

Man sollte Umsicht walten lassen, wenn es an das Schleifen von Denkmälern geht. Das gilt in gewisser Hinsicht auch für Namen historisch bedeutender Personen auf Straßenschildern. Um eines klarzustellen: eklatante Fehlgriffe wie die Carl-Peters-Straße oder gar einen Adolf-Hitler-Platz gilt es zu korrigieren. Doch wo zieht man die Grenze zu dem, was wir für öffentlich erinnerungswürdig einstufen, und dem, was wir aus dem kollektiven Gedächtnis löschen wollen?

Wie schwer eine Antwort fällt, lässt sich am Beispiel Paul von Hindenburgs illustrieren. Im öffentlichen Bewusstsein gilt der ehemalige Feldherr und Reichspräsident als übler Nationalist, der sich später, als seine geistigen Kräfte schon schwanden, zum willigen Steigbügelhalter Hitlers hergab. Doch wer sich näher mit der historischen Gestalt Hindenburgs beschäftigt (etwa durch Lektüre der lesenswerten Biografie des Stuttgarter Professors Wolfram Pyta), der bekommt ein differenzierteres Bild: Der spätere Präsident glänzte als Feldherr eher durch Abwesenheit als durch große strategische Taten. Und als Staatschef stand Hindenburg Hitlers NSDAP lange Zeit skeptisch bis misstrauisch gegenüber. Das eigentliche Problem war ohnehin weniger Hindenburg, sondern die Tatsache, dass Hitlers NSDAP stärkste Partei im Reichstag war.

All diese Zwischentöne drohen in der großen Löschungsdebatte unterzugehen. Warum nicht ein kleines Schild mit einigen Sätzen zur durchaus kontroversen namensgebenden Person an die Straßenschilder hängen? Hindenburg taugt sicher nicht zum Vorbild. Aber er ist nach allem was wir wissen kein Massenmörder oder Verbrecher gegen die Menschlichkeit wie erwähnter „Hänge-Peters“. Wenn man die Namensgeber von Straßen nur noch nach Gut (erlaubt) und Böse (abzuschaffen) auswählt, dann gehen all jene historischen Zwischentöne verloren, für die die schillernde Person Hindenburgs ein Stück weit steht.

Und wehe, jemand findet bei einem neuen Namensgeber einen Fleck auf der vermeintlich weißen Weste! Von der inflationären Änderung der Straßennamen ist deshalb abzuraten – das ist den dafür nötigen, erheblichen Aufwand nicht wert.