Bürgermeister stehen unter extremer Beobachtung der Öffentlichkeit. Den Königsweg aus einer Autoritätskrise gibt es nicht. Politikberater sind sich einig: Offenheit muss sein. Anmerkungen aus aktuellem Anlass.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Angenehm sind diese Wochen mit Sicherheit nicht gewesen für den Ludwigsburger Oberbürgermeister Werner Spec. Für den Chef einer Stadtverwaltung gibt es kein Verstecken. Er hat ein höchst öffentliches Amt inne. In dieser Rolle fühlte sich Spec, das war deutlich spürbar, bei seinen Auftritten zuletzt nicht immer wohl. Jetzt, wo der Strafbefehl wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis da ist, und er ihn annehmen will, fängt die Zeit der öffentlichen Bewährung an. Nicht im juristischen Sinn. Wohl aber in der Wahrnehmung seiner Umwelt.

 

Seit dem Bekanntwerden seines Vergehens schien es, als arbeite der Macher Spec noch mehr und noch eifriger als bisher schon. Intensiv trieb er die Neugestaltung im Stadtteil Grünbühl voran. Das Jahr hatte kaum begonnen, da präsentierte die Stadt einen Investor, der das Areal Schlossstraße-Kaffeeberg-Schmiedgässle gegenüber dem Barockschloss städtebaulich herausputzen will. Und in Sachen Wiederbelebung des Marstallcenters hat er Fakten geschaffen, hinter denen er sich nicht verstecken muss. Aktivitäten wie diese signalisieren: die Geschäfte gehen weiter, das Wohl der Stadt liegt ihm am Herzen, wichtige Entscheidungen geht er weiter energisch an. Es ist der Versuch der Rückkehr zur Normalität unter Extrembedingungen.

Bürgermeister sind immer unter öffentlicher Beobachtung

Spec ist nicht der erste kommunale Amtsträger, der durch ein Fehlverhalten unter noch schärfere öffentliche Beobachtung geraten ist, als ein Bürgermeister ohnehin schon steht. Rutesheims Bürgermeister Dieter Hofmann etwa geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, als ihn ein Gericht wegen der Unterschlagung von eigentlich für seine Mitarbeiter bestimmten Tankgutscheinen in Höhe von 150 Euro zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 000 Euro verurteilte. Ihm ist es gelungen, durch lange Gespräche mit dem Gemeinderat dessen Vertrauen zurückzugewinnen. Und Heimsheims Bürgermeister Uwe Rupp hält sein Gemeinderat mitten im Wahlkampf vor, sich bei einem Grundstücksgeschäft persönlich bereichert zu haben.

Natürlich ist kein Fall mit dem anderen wirklich vergleichbar. Zumal es im Fall Spec nicht um eine Verfehlung im Amt geht. So unterschiedlich die Fälle sind, so unterscheiden sich auch die Charaktere der Handelnden – und damit auch ihr Weg aus der Krise. Dieter Hofmann hat sich offensiv mit seinem Tun auseinandergesetzt. Er blieb im Amt. In Heimsheim ist die Sache noch offen.

Es gibt keinen Kodex: was ist erlaubt und was nicht?

Generell gilt: es gibt keinen Bürgermeisterkodex, der eine klare Linie vorgibt. Immer aber stehen die Fragen im Raum: Welchen Fauxpas darf sich ein (Ober)Bürgermeister leisten? Was verzeiht die Öffentlichkeit, und was nicht? Wann leiden Autorität und Integrität so sehr, dass ein Verbleib im Amt gefährdet ist? Es sind Krisensituationen wie diese, in denen mancher die Bürde des Amtes als zentnerschwer empfinden mag. Wobei sich Oberbürgermeister eigentlich in einer beneidenswerten Position befinden. Denn für Bürger und Gemeinderäte gibt es kein Instrument, sie aus dem Amt zu kegeln. Sehr wohl können sie ihnen aber das Leben durch scheele Blicke und mehr oder minder offene Missachtung schwer machen. Aber das ist eine Sache der Umgangs und nicht der Gemeindeordnung.

Das Recht auf den Beamtenstatus verwirkt ein Amtsinhaber nur, wenn er zu einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wird. Ansonsten gilt: nur das Regierungspräsidium kann mit Hilfe eines Verwaltungsgerichtsbeschlusses, wenn jemand den Anforderungen des Amtes nicht nachkommt und sich als unfähig erweist, einen Amtsträger des Postens verweisen. Aber der Paragraf 128 der Gemeindeordnung wurde seit Bestehen des Bundeslandes noch nie angewandt.

Der Preis für das Amt ist der Verlust der Privatheit

Denn die Funktion des Oberbürgermeisters ist nirgends mit so viel Macht ausgestattet wie in Baden-Württemberg. Er ist Vorsitzender des Gemeinderats, Chef der Verwaltung und rechtlicher Vertreter der Stadt in einer Person. Entsprechend hoch seien die Ansprüche der Bürger an ihr Stadtoberhaupt, erklärt Paul Witt, der Rektor der Fachhochschule (FH) für Verwaltung in Kehl. Seit Jahren bietet die FH Kurse für angehende Bürgermeister an. Danach soll ein Bürgermeister glaubwürdig, authentisch, offen und ehrlich sein. Das klingt wie eine Beschreibung der Eier-legenden Woll-Milch-Sau. Das macht die Fallhöhe groß.

„Das sind Ansprüche, die man nur bedingt erfüllen kann“, sagt Witt. Und der Amtsinhaber zahlt einen hohen Preis für den Gestaltungsspielraum, den ihm dieses Amt einräumt – den des Verlustes seiner Privatheit nämlich. Das gilt auch für seine Familie. Scheidungen, Trennung und eben auch Vergehen gegen die Straßenverkehrsordnung werden so zum öffentlichen Ereignis. Dann heißt es, den Schaden möglichst klein zu halten. „Offenheit und Transparenz“, sagt Witt, „sind das Entscheidende. Die Kopf-in-den-Sand-Politik geht nicht.“

Frühe Offenheit gilt in der Politikberatung als Muss

Mit schier entwaffnender Offenheit reagierte denn auch Spec einen Tag vor dem Weihnachtswochenende auf das anonyme Schreiben, das seine Fahrt ohne Fahrerlaubnis an den Bodensee überhaupt erst öffentlich gemacht und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt hatte. Er informierte den Gemeinderat – und ließ eine schriftliche Stellungnahme verbreiten. Darin schrieb er von seinen Wunsch als Vater, die in einer Wohngruppe für Behinderte lebenden Tochter noch einmal vor Weihnachten zu besuchen. „Trotz der besonderen Umstände ist das Fahren ohne Führerschein natürlich nicht zu entschuldigen. Ich bedauere meine Entscheidung außerordentlich.“ Im weiteren Verlauf seiner Stellungnahme sprach er von einer „törichten Handlung“ und seiner „Verantwortung als Bürgermeister“. Und dass er sich grundlegende Gedanken mache. Er blieb bei der Schriftform.

In der Politberatung gilt frühe Offenheit als eine der Grundregeln des Metiers. Einer, der mehr als 50 Wahlkämpfe im Land strategisch begleitet hat, ist überzeugt: „Es gibt für alles eine kommunikative Schadensbegrenzung.“ Man wisse nur nie im Voraus, welche die Beste sei. Er rät seinen Klienten immer zur völligen Transparenz. Einer seiner Vorschläge: alle Informationen zum inkriminierten Vorfall ins Internet stellen. Der Experte weiß aber auch: „Die Maßstäbe der Menschen sind strenger geworden und ihre Bereitschaft zu verzeihen auch.“ Ganz sicher im Sessel sitze nach einer Verfehlung, wer seinem Gemeinderat die Vertrauensfrage stelle. Doch diesem Prozedere muss man sich stellen wollen. Diese Nervenprobe muss man sich zumuten wollen.

„Niemand ist zu 100 Prozent integer“

Nick Lin-hi, Junior-Professor für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim, sagt es deutlicher: „Niemand ist zu 100 Prozent integer.“ Das entschuldige zwar kein Fehlverhalten, rückt aber die Frage in den Vordergrund, wie man mit Verfehlungen umgeht. Auch Lin-Hi glaubt, dass man nur durch Offenheit die Chance habe, sich nachhaltig zu rehabilitieren. Alle Experten, die sich mit den Fragen von Führung, Verantwortung und Ethik beschäftigen, sind sich einig, dass Fehlverhalten erst einmal einen Verlust an Autorität und Integrität bedeutet. „Integrität aber ist einer der Vermögenswerte für Führungskräfte“, sagt Nick Lin-Hi, der große kommunale Institutionen berät.

Ähnlich sieht das auch Michele Morner, Professorin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. „Natürliche Autorität kann man aufbauen oder zerstören.“ Was schlechtes Verhalten sei, entscheide der Betrachter. Das heißt: unterschiedliche Typen können sich unterschiedliche Ausreißer leisten. Je nach Beliebtheitsgrad kann die Öffentlichkeit auch ein Auge zudrücken und eine Verfehlung als Kavaliersdelikt durchwinken. Wem die Öffentlichkeit nicht so gewogen ist, dem rät Morner, sich vorbildlich zu verhalten und das zu kommunizieren. „Man muss zeigen, was man kann und es schaffen, dass wieder über Inhalte geredet wird.“