Der moderne Lieferservice gilt als i-Tüpfelchen bei der Umgestaltung des Ludwigsburger Bahnhofs. Nun steigen die Händler aus dem Projekt aus.

Ludwigsburg - Eigentlich sollte das Boxen-System Yoloma (Your local market) am Ludwigsburger Bahnhof in den nächsten Tagen für einen Probelauf starten. Doch nun hat sich der Verein der Innenstadthändler (Luis) überraschend zurückgezogen: Das Engagement übersteige die Möglichkeiten der Händler, sagte der Geschäftsführer Axel Müller. Auch an anderer Stelle hakt es zurzeit im Bahnhof: die neuen Fahrstühle zu den Gleisen stehen weiterhin still, der Kaffeemarkt am Westportal ist seit Juli geschlossen, weil der Betreiber insolvent ist, und der Elektronikhändler Saturn schließt schon zum Monatsende. Saturn zieht ins neue Marstall, dennoch sollte die Filiale am Bahnhof noch bis Jahresende offen bleiben. Ein Nachmieter für die leer werdenden Räume in der DB-Halle gebe es noch nicht, sagt der Bahnhofsmanager Arne Wintermeier, der selbst zum Jahresende seine Arbeit aufgeben wird.

 

Auf Granit gebissen

An einem Bahnhof kreuzen sich nicht nur verschiedene Verkehrsformen, hier überschneiden sich auch sehr viele unterschiedliche Interessen. Auf den Ludwigsburger Bahnhof trifft das in besonderem Maß zu. Vielen Bürgern gilt er seit langem als Ärgernis – wegen der Alkoholikerszene am Ausgang zur Stadt, wegen der Verschmutzung und weil sich die Architektur als Fehlkonstruktion erwiesen hat: die Menschen werden nicht sinnvoll hin- und weggeleitet, sondern drängen sich auf der Treppe und im Empfangsgebäude.

Als ganz spezielles Manko erwies sich die Streuung der Eigentumsverhältnisse. Denn immer, wenn sich die Stadtverwaltung darum bemühte, die Attraktivität des Gebäudes zu erhöhen oder dessen Funktionalität an die modernen Erfordernisse anzupassen, biss sie auf Granit: Im Zweifel erklärte sich niemand für zuständig – und kein Beteiligter hatte ein Interesse daran, in diesen Umschlagplatz zu investieren.

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Das wurde erst anders, als der Oberbürgermeister Werner Spec 2012 das Anliegen Wohlfühlbahnhof zur Chefsache machte und Arne Wintermeier mit der Projektleitung beauftragte. Er hat die Kontakte mit den diversen Eigentümern hergestellt und geschafft, dass mit vielen kleinen Maßnahmen das Erscheinungsbild des Bahnhofs korrigiert wurde: ein neuer Farbanstrich samt neuem Bodenbelag in der Unterführung, ein neu gestaltetes Reisecenter sowie eine Neuordnung der Ladengeschäfte. Außerdem ist es ihm gelungen, im Bahnhof ein Verkaufsverbot für Alkohol durchzusetzen. Damit wurden die als störend empfundenen Ansammlungen von Trinkern verdrängt, mit ihnen aber auch der Betreiber eines Kiosks an Zentralen Busbahnhof. Eine mögliche Nachfolgerin hat kurz vor der Wiedereröffnung des Kiosks letzte Woche einen Rückzieher gemacht.

Das von der Uni Stuttgart entwickelte und von der Region mitfinanzierte Konzept Yoloma soll die Anziehungskraft des Öffentlichen Personennahverkehrs steigern. Wer mit Bus oder Bahn unterwegs ist und feststellt, dass sein Kühlschrank zu Hause leer ist, kann per Smartphone Lebensmittel ordern, die dann in einer gekühlten Box am Bahnhof auf ihn warten. Inzwischen aber ist das elektronikgestützte Versorgungsmodell mehrfach ins Straucheln geraten: Zunächst konnte der Hersteller der Boxen nicht zeitig genug liefern, dann gab es Probleme mit der Software. Nun sind die Ludwigsburg Cityhändler ausgestiegen. Wegen der Verzögerungen und des damit verkürzten Probelaufs sei es ihnen nicht mehr möglich, ihren Part zu erfüllen. Im übrigen kritisierten sie, dass der Warenkorb zu klein sei: „Viele unserer Mitglieder hätten keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt“, sagt Müller.

Es knirscht im Getriebe

Kommentar - Auch wenn es anfangs als völlig aussichtsloses Unterfangen abgetan wurde: Das Projekt Wohlfühlbahnhof ist 2012 mit viel Elan gestartet – und es hat konkrete Ergebnisse gezeitigt. Nicht alle sind für den Bahnkunden schon sichtbar, doch wichtige Veränderungen sind angeschubst und viele Weichen gestellt.

Seit einigen Wochen aber knirscht es gewaltig im Getriebe. Der Mann, der den trägen Apparaten von Bahn AG und privaten Investorengesellschaften immer wieder Dampf gemacht hat, will nicht mehr: der Bahnhofsmanager Arne Wintermeier hört zum Jahresende auf, und ein Nachfolger ist noch nicht in Sicht. Außerdem tritt das Vorzeigekonzept „Yoloma“ auf der Stelle. Mit dieser schlauen Verknüpfung von Internet und klassischer Warenanlieferung könnte sich der Ludwigsburger Bahnhof ganz schnell in die Riege der zukunftsweisenden Verkehrsknoten einreihen – bisher gibt es ähnliche Pläne nur an Flughäfen. Doch nun hat der Innenstadtverein kalte Füße bekommen, weil der Zeitplan mehrmals über den Haufen geworfen wurde.

Betrachtet man dazu die Leerstände im und am Bahnhof – Café, Kiosk, Elektronikmarkt – scheint eine kritische Masse erreicht zu sein. Gerade jetzt wäre ein Manager nötig, der mit vollem Einsatz darum kämpft, die Fäden in der Hand zu behalten. Die Stadt wird ganz schnell einen Nachfolger für Wintermeier finden müssen. Andernfalls könnte die Schieflage zum Dauerzustand werden. Die endlich hergestellten Kontakte könnten einschlafen, der Wille zur Veränderung bei Bahn und Investoren erlahmen. Der Traum vom Ludwigsburger Wohlfühlbahnhof wäre ausgeträumt.