In der Ludwigsburger Stadtkantine kamen Obst und Gemüse auf den Tisch, die sonst in den Abfall gewandert wären.

Ludwigsburg - Etwas Mehrarbeit hat das Personal mit dem Rohmaterial gehabt, das Sebastian Ludwig am Freitagmorgen in die Ludwigsburger Stadtkantine gebracht hat. Sonst werden die Kartoffeln immer schon geschält geliefert. Doch für den Mitarbeiter der Abfallverwertungsgesellschaft des Landkreises (AVL) wurde eine Ausnahme gemacht. Die 30 Kilo Kartoffeln wanderten in die Küche statt in die Mülltonne, wo sie eigentlich gelandet wären. „Sie haben eine Spitzenqualität“, sagt Ludwig: „Ihr einziges Manko ist, dass sie zu groß sind.“ Allein aus diesem Grund habe der Bauer die Knollen notgedrungen als unverkäuflich eingestuft. Mit EU-Vorschriften habe das gar nichts zu tun: „Der Erzeuger kriegt sie einfach nicht verkauft.“

 

Wer dieser Landwirt aus dem Landkreis war und von welchem edlen Supermarkt-Spender die weitere Ware kam, die durch die gemeinsam mit dem Filmfestival Naturvision durchgeführte Aktion vor dem Abfalleimer bewahrt wurde, darf Ludwig nicht verraten. Denn viele tun es, aber keiner will es zugeben. „Man hat ein Imageproblem, wenn herauskommt, dass man zwei bis drei Kilo Lebensmittel am Tag wegwirft“, sagt Ludwig, der in der AVL-Abteilung Ressourcen und Logistik für das EU-Projekt Green Cook zuständig ist. Damit soll die in den Industrieländern weit verbreitete Verschwendung von Lebensmitteln verringert werden.

Sebastian Ludwig muss um den Abfall betteln

Denn allein im Kreis Ludwigsburg, das hat eine repräsentative Studie ergeben, landen jährlich pro Einwohner rund fünf Kilo Lebensmittel im Restmüll, die Biotonnen noch gar nicht mitgerechnet. Um die Reste muss Sebastian Ludwig dennoch betteln. Für die große Nacht der Lebensmittel im Akademiehof im vergangenen Herbst musste er rund 30 Supermärkte anrufen, bevor er genug Material beisammen hatte. Für die Stadtkantine hatte er nun speziell nach Obst und Gemüse gefragt – schließlich tragen sie kein Mindesthaltbarkeitsdatum und machen somit auch keine Probleme mit den Lebensmittelkontrolleuren des Kreises. Neben den Kartoffeln karrte er auch vier Kilogramm Champignons, lediglich leicht strubbelige Lauchzwiebeln sowie Paprika, Karotten und etliche, für den Verkauf zu klein geratene Sellerieknollen.

Der Koch und stellvertretende Küchenchef Timo Appenzeller war mit dem Angebot ausgesprochen zufrieden: „Das ergab einen schönen Eintopf mit mindestens hundert Portionen.“ Als Zutaten für die bis zu 1400 Portionen, welche die Kantine täglich inklusive der Schulessen produziert, habe die Menge freilich nicht gereicht, sagt der 25-Jährige. Seinetwegen könne man die Sache aber gern wiederholen, schließlich sei er selbst ein begeisterter Resteverwerter: „Tetrapaks und Tiefkühlware kommen mir kaum in die Tüte.“

Auch Valentin Thurn speist in der Kantine

Auch der Filmemacher Valentin Thurn, von dessen viel beachteter Doku „Taste the Waste“ beim hiesigen Naturfilm-Festival eine Kurzversion für Schulen gezeigt wurde, hat am Freitag in der Kantine im Kulturzentrum gespeist. Als er 2010 für den Film recherchierte, sei er außer in Ludwigsburg bei keiner deutschen Abfallverwertung auf Sensibilität für das Thema gestoßen, sagt er: „In Köln hieß es: Wir sind nicht für die Vermeidung zuständig, sondern für die Entsorgung.“ Der „kosmetische Perfektionswahn“ bei Kartoffeln, Karotten und Co ist laut Thurn kaum den EU-Normen geschuldet: „Der Handel setzt die Maßstäbe nach dem, was die Verbraucher kaufen.“

Die jüngeren unter ihnen hätten aber vielfach den Bezug zur ungeschönten Realität verloren, beobachtet Sebastian Ludwig: „Viele Kinder wissen gar nicht, wie ein Apfel aussieht, wenn er vom Baum fällt.“