Die Polizei will straffällige Jugendliche mit einem ungewöhnlichen Projekt zum Nachdenken anregen. Wer mitmacht, muss ein Buch lesen und über die Parallelen zu seinem Leben reflektieren.

Ludwigsburg - Katja (Name geändert) war neu an der Schule. Eines Tages schlug ihre Sitznachbarin vor, im Drogerieladen etwas zu klauen – nur so, als Nervenkitzel. Einige andere Klassenkameradinnen wurden auch noch angestachelt, mitzumachen: „Das war so eine Gruppendynamik“, sagt Katja. Doch die Mädchen wurden prompt erwischt und angezeigt. Ihnen drohten Arbeitsstunden als Strafe für ihre Tat – doch alternativ konnten sie an einem Kooperationsprojekt von Polizei und Stadtbibliothek teilnehmen.

 

Die Polizei gibt ein Buch vor, das zum Delikt passt

Das Projekt gibt es seit etwa vier Jahren. Im Kern geht es darum, jugendliche Straftäter dazu zu motivieren, sich mit der eigenen Tat auseinander zu setzen. Statt Arbeitsstunden abzuleisten, müssen die Teilnehmer ein Buch, das die Polizei passend zu ihrem Delikt vorgibt, aus der Bibliothek ausleihen und lesen. Innerhalb von zwei Wochen müssen sie dann einen Aufsatz zu einer Fragestellung mit Bezug auf das Buch schreiben. Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft das Werk akzeptieren, wird das Verfahren eingestellt.

Im Jugendstrafrecht gehe es in erster Linie darum, erzieherisch zu wirken – und nicht nur strafend, sagt Thomas Roth. Der Jugendsachbearbeiter der Polizei hat das Bibliotheksprojekt vor vier Jahren ins Leben gerufen. Er wollte eine Alternative zu den gängigen Arbeitsstunden finden, die bei Jugenddelikten standardmäßig verhängt und oftmals gedankenlos abgeleistet würden. Allerdings sollte es etwas sein, das die jungen Straftäter dennoch beeindruckt, „in der Hoffnung, dass sie dann nicht wieder straffällig werden“, so Roth. Wer mitmacht, schließt einen Deal mit der Polizei: Er muss sich vertraglich dazu verpflichten, ein Buch zu lesen und zu besprechen.

Das Projekt gilt als erfolgreich

Für Katja war sofort klar, dass sie lieber ein Buch lesen wollte als zu arbeiten. Von der Polizei wurde der 15-Jährigen der Titel „Rolltreppe abwärts“ von Hans-Georg Noack genannt, den sie in der Bibliothek ausleihen musste. In dem Buch geht es um einen Jungen, der keine Freunde hat. Auf Geheiß eines vermeintlichen neuen Freundes fängt er an, teure Dinge zu stehlen. Er wird erwischt, dreht durch und landet schließlich im Heim. Ganz so dramatisch sei ihre Situation zwar nicht, aber ihr habe es schon etwas gebracht, das Buch zu lesen, sagt Katja: „Ich habe gemerkt, dass ich nicht so enden will wie der Junge im Buch.“ So geht es auch anderen Teilnehmern des Projekts: „Ich mache das nie mehr“, sagt der 15-jährige David (Name geändert), der dabei war, als ein Kumpel etwas klaute. Lena (15, Name geändert), die zusammen mit Freundinnen von einem Schulkameraden zum Stehlen gedrängt wurde, findet solche Mutproben jetzt „dämlich“.

Thomas Roth hat den Eindruck, dass das Projekt durchaus erfolgreich ist. Die schriftlichen Arbeiten seien sehr reflektiert: „Es ist beeindruckend, wie manche Jugendlichen dabei ihr Inneres nach Außen kehren“, sagt er. Zudem sei seines Wissens nach sei keiner der bislang rund 40 Teilnehmer wieder straffällig geworden. Für Rückfällige wäre das Büchereiprojekt aber auch keine Option mehr: Dieses sei als einmaliger Warnschuss bei leichten Delikten – meist Ladendiebstählen – angelegt. Wer diesen nicht ernst nehme, müsse beim nächsten Mal mit einem regulären Verfahren vor dem Jugendgericht rechnen.

Eine Alternative, die nicht allen offen steht

Strafrecht
: Das Jugendstrafrecht darf bei 14- bis 21-Jährigen angewendet werden. Bei straffälligen Jugendlichen sollen erzieherische Maßnahmen im Mittelpunkt stehen, die vor allem die Verhütung weiterer Straftaten bezwecken sollen.

Projekt:
Die Teilnahme am Kooperationsprojekt der Ludwigsburger Polizei mit der örtlichen Stadtbibliothek ist freiwillig: Die Polizei bietet jugendlichen Straftätern, die sie für geeignet hält, das Projekt als Alternative zu Arbeitsstunden an. Doch das letzte Wort hat stets die Staatsanwaltschaft. Sie kann die Teilnahme eines Jugendlichen verweigern, wenn sie dessen Delikt als zu gravierend ansieht oder von anderen Straftaten weiß, die bei der Polizei noch nicht aktenkundig geworden sind.