Die Grünen und die SPD in Ludwigsburg fordern die Einführung eines speziellen Jahrestarifs für Busse und Bahnen im Stadtgebiet – der günstige Preis soll Autofahrer ködern. Der Vorstoß stößt auf Wohlwollen, auch der VVS zeigt sich gesprächsbereit.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Mit dem Stadtticket hat Ludwigsburg im vergangenen Sommer Pionierarbeit geleistet – nur wenige Monate später steht die Stadt jetzt womöglich kurz davor, ein weiteres richtungweisendes Pilotprojekt im Verkehr- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) anzustoßen. Die Grünen und die SPD haben die Stadtverwaltung aufgefordert, die Einführung eines völlig neuen Jahrestickets zu prüfen. Auch über die Preisgestaltung haben sich die Fraktionen in dem Antrag, den sie vor wenigen Tagen eingereicht haben, Gedanken gemacht: Für 365 Euro soll es künftig möglich sein, ein Jahr lang unbegrenzt den Ludwigsburger ÖPNV zu nutzen. Das Vorhaben soll, auf städtischer Ebene, die große Tarifreform ergänzen, die kommenden Montag in Kraft tritt.

 

Zahlreiche Tarifzonen im VVS-Gebiet werden dann gestrichen, für die meisten Pendler wird Bus- und Bahnfahren deutlich billiger. Am stärksten profitieren Menschen, die längere Strecken fahren, also beispielsweise aus dem Umland nach Stuttgart. „Wir haben mit unserem Vorstoß eine andere Zielgruppe im Blick“, sagt Michael Vierling, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ludwigsburger Gemeinderat.

Pendler innerhalb der Stadt würden mehr als 300 Euro im Jahr sparen

Ein erheblicher Anteil des Autoverkehrs in Ludwigsburg wird von Menschen produziert, die in Ludwigsburg wohnen und dort auch arbeiten – und für den Arbeitsweg bislang den eigenen Pkw nehmen. Auch für die Fahrt zum Einkaufen in der City oder zum Sporttraining ist für viele das Beförderungsmittel der Wahl noch immer das Auto. Auch aus diesem Grund wurde das Stadtticket auf den Markt gebracht, mit dem sich Fahrgäste für nur drei Euro einen Tag lang kreuz und quer durch die Barockstadt kutschieren lassen können.

Das machen sie gerne und oft, die erste Bilanz fiel überraschend positiv aus. Innerhalb der ersten sechs Monate wurden 180 000 Stadttickets verkauft, die Anzahl der Fahrgäste ist damit um 15 Prozent gestiegen. „Sehr gute Erfahrungen“ habe man gemacht, sagt der VVS-Geschäftsführer Horst Stammler. Weshalb Esslingen jetzt nachzieht und Anfang April zu den gleichen Konditionen ein Ticket anbietet, das ausschließlich im dortigen Stadtgebiet gültig ist. Auch in Herrenberg und Marbach gibt es spezielle Stadttickets. In Bietigheim-Bissingen wird momentan darüber nachgedacht, ein solches einzuführen.

Ein vergleichbares Ticket gibt es im Tarifverbund noch nicht

Wochen-, Monats- oder Jahreskarten, die nur auf eine Kommune zugeschnitten sind, gibt es im VVS noch nicht. Die günstigste Zonenkarte kostet 676 Euro. Menschen, die überwiegend in Ludwigsburg unterwegs sind, würden mit dem 365-Euro-Ticket also mehr als 300 Euro sparen. Abgeschaut haben sich die Grünen und die SPD das Konzept in Wiesbaden, und das ist kein Zufall. Die hessische Landeshauptstadt war bis vor wenigen Wochen in einer ähnlichen Situation wie Ludwigsburg, lange Zeit drohten wegen der hohen Stickstoffdioxid-Belastung Dieselfahrverbote, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte bereits eine Klage eingereicht. Kürzlich jedoch erklärte die DUH, dass sie diese wieder zurückzieht, weil die Stadt einen überzeugenden Luftreinhalteplan vorgelegt habe. Ein zentraler Baustein des Plans gegen die dreckige Luft ist das 365-Euro-Ticket.

Grüne und SPD setzen darauf, dass auch in Ludwigsburg die Chancen auf einen Kompromiss mit der Umwelthilfe steigen, wenn das neue Jahresticket kommt. Sicher ist das allerdings nicht: Reutlingen hat kürzlich einen Prozess gegen die DUH verloren, obwohl auch dort seit einiger Zeit ein 365-Euro-Ticket getestet wird.

Die Stadt müsste das Ticket bezuschussen – wie viel das kostet, weiß derzeit niemand

Dennoch stößt der Vorstoß auf Wohlwollen. Der Grundgedanke sei gut, sagt der Ludwigsburger Bürgermeister Michael Ilk, der versprochen hat, möglichst bald mit dem VVS über das Thema zu verhandeln. Dort ist man ebenfalls gesprächsbereit. „Grundsätzlich sind wir für alle Vorschläge offen, die zum Ziel haben, noch mehr Fahrgäste für Bus und Bahn zu gewinnen“, sagt die VVS-Sprecherin Pia Scholz.

Leicht werden die Gespräche vermutlich trotzdem nicht. Sowohl Ilk als auch der VVS weisen darauf hin, dass schon heute viele Busse in Ludwigsburg überlastet sind. Wenn wegen des attraktiven Jahrestickets mehr Menschen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, würde das die Situation weiter verschärfen. Die Kapazitäten müssten ausgebaut werden, und das kostet Geld.

Weitere Kosten entstehen, weil der VVS weniger Erlöse erzielt, wenn Tickets billiger werden. Vor der Einführung des Tagestickets wurde vereinbart, dass die Stadt als Ausgleich jährlich 600 000 Euro an den Verbund überweist. Wie hoch die zu erwartenden Mindereinnahmen bei einem 365-Euro-Ticket wären, weiß derzeit niemand. Wenn Tausende Menschen künftig Jahrestickets abonnieren, kaufen sie keine Einzelfahrscheine mehr – auch solche Effekte müssen in die Berechnung einfließen. Ilk geht davon aus, dass die Auswirkungen des Jahrestickets weitaus größer wären als beim Tagesticket, weil mehr Menschen das Angebot nutzen würden. Das ist einerseits gut und heißt andererseits: Die Stadt muss voraussichtlich jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag dafür aufbringen.

Sehen Sie im Video, was Stuttgarter zu der VVS-Tarifreform sagen: