Der Angriff galt eigentlich Stuttgart. Doch die britischen Bomber, die vor genau 75 Jahren in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 die Landeshauptstadt anflogen, verfehlten ihr Ziel und legten stattdessen mehrere Dörfer auf den Fildern in Schutt und Asche. Drei Zeitzeugen berichten.

Filder - In dem bis dato größten Nachtangriff auf eine deutsche Stadt steuerten 863 britische Bomber Stuttgart an. Sie flogen über Frankreich in Richtung Bodensee, ehe sie nach Norden einschwenkten. Die Lancaster trugen in ihrem Bauch jeweils 2500 Tonnen Spreng-, Phosphor- und Stabbrandbomben. Weil Zielmarkierungsflugzeuge abgeschossen oder abgedrängt wurden und die Innenstadt künstlich vernebelt war, warfen die Piloten ihre todbringende Fracht bis zu 30 Kilometer zu früh ab. Das Bombardement begann um 23.20 Uhr. Wir haben mit drei Zeitzeugen gesprochen.

 

Eberhard Bulach: „Wir alle erwarteten den Tod“

Eberhard Bulach aus Echterdingen verbrachte die Nacht des Bombardements in einem Keller – gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und den Nachbarn. 1951 ist Bulach in die USA ausgewandert.„Einmal mehr heulten die Warnsirenen – wie schon so oft vorher. Jeder sollte sofort in die Luftschutzräume gehen. Eilig sammelten wir Decken und Essen zusammen, bevor wir in Richtung Vorratskeller gingen. Mutter hielt uns an und entschied, in den Keller der Nachbarn Walkers zu gehen.

Die Motoren von Hunderten von anfliegenden Flugzeugen klangen wie ein sich schnell nähernder Tornado: Ein Geräusch, das sich für immer in mein Gedächtnis einbrannte. Unser anfängliches Gefühl der Sicherheit durch die dicken Steinmauern des Kellers verflog schnell. Plötzlich gab es mehrere ohrenbetäubende Explosionen in dichter Folge, und die Lichter flackerten. Plötzliche und völlige Dunkelheit folgte. Wir alle erwarteten den Tod mit der nächsten Explosion.

Unser Haus war sowohl von einer Sprengbombe als auch von einer Brandbombe getroffen worden. Das Dach und der zweite Stock brannten lichterloh. Obwohl es schon fast Mitternacht war, hat das Feuerinferno einen unheimlichen Lichtschein erzeugt. Es schien, als würde der Himmel brennen.“

Lore Pfeffer: „Überall hingen Drähte runter“

Vor 75 Jahren verlor Lore Pfeffer all ihr Hab und Gut. Ihr Haus an der Vischerstraße in Stuttgart-Vaihingen wurde zerstört. Heute wohnt die 95-Jährige im Filderhof in Stuttgart-Vaihingen.„Immer wenn Fliegeralarm war, sind wir in den Luftschutzbunker. Der war selbst gebaut: ein Bunkerle. Wir haben uns darin sehr sicher gefühlt, wie wir dort so nebeneinanderstanden. Damals war ich ein ganz junges Mädel. Wo ich am Tag des Luftangriffs war, weiß ich nicht mehr genau. Aber morgens sind meine Mutter und ich durch die Bachstraße gelaufen, von dort aus sind wir heim. Am Schillerplatz ist alles drunter und drüber gegangen. Die Leute kamen uns schon entgegen und haben uns gesagt: ,Ihr könnt nicht mehr heim, ihr habt kein Haus mehr.‘ Wir haben nach unserem Haus geschaut. Das war nicht mehr da.

In der Vischerstraße war ein großes Loch. Überall hingen Drähte runter. Es war wohl eine Kettenbombe, die da runtergefallen ist. Das ganze Haus war kaputt, wir konnten nicht mehr rein. Wir haben versucht, etwas zu retten. Danach haben wir im Amadeusweg zur Miete gewohnt, meine Mutter und ich in einem Zimmer. Der Papa war noch im Krieg, wir haben gar nicht gewusst, wo der ist, der ist dann nach Südfrankreich in Gefangenschaft gekommen.“

Eberhard Mezger: „Es waren Eindrücke einer Katastrophe“

Eberhard Mezger war 15 Jahre alt, als das Haus seiner Eltern in Flammen aufging. Er selbst verteidigte Stuttgart während des Luftangriffs in einer Flak-Stellung. Er wohnt noch immer in Echterdingen.

„Ich war Luftwaffenhelfer in Degerloch. Wir haben uns damals älter gefühlt, als wir waren. In der Nacht vom 15. auf den 16. März war ich in der Flak-Batterie. Spät in der Nacht ging der Alarm los. Die Flieger kamen aus Südwesten und mussten über uns hinwegfliegen, um Stuttgart anzugreifen. Wir haben die Flieger davon abgehalten, sodass sie die Bomben woanders abwerfen mussten. Ich hatte die Hosen voll. Ich hatte große Angst, dass es uns auch erwischt.

Dann kam die Nachricht, dass ich nach Hause kommen soll. Als ich in Echterdingen ankam, sah ich nur noch Trümmer. Rauch lag in der Luft, keine Straße war begehbar. Es waren die Eindrücke einer Katastrophe. Ein großer Schreck und Traurigkeit durchfuhr mich. Ich fragte mich: Leben die noch? Kann man noch was retten? Vor dem Haus stand mein Großvater. Er bewachte Habseligkeiten, meine Eltern waren voll damit beschäftigt, zu retten, was noch zu retten ist. Alles Eigentum war verbrannt.

Meine Eltern, mein Großvater und meine Schwester erhielten Unterkunft in einem Haus einer anderen Familie. Meine beiden Brüder hatten Bombenurlaub, um das Haus wieder aufzubauen. Sie mussten nach zwei Wochen wieder zurück zu ihrer Truppe, so wie ich in die Stellung. Aber der Krieg ging weiter: Die Leute mussten in den Keller, auch wenn sie keinen hatten. Der 15. März ist unser Unglückstag. Erst ein Jahr vorher war mein Bruder in Russland gefallen.“