Die Diskussion über knapper werdende Flächen und die wachsende Bodenversiegelung hat in Ditzingen eine besondere Dimension: Denn hier ist die Erde so fruchtbar wie deutschlandweit sonst nur in der Magdeburger Börde.

Ditzingen - Die uneingeschränkte Freude über einen großen Gewerbesteuerzahler im Ort hat über Jahre hinweg die Stimmung im Ditzinger Gemeinderat geprägt. Der Laserspezialist Trumpf hatte sich nach seinem Umzug im Jahr 1972 in die Stadt in unmittelbarer Nähe zur Autobahn angesiedelt – und in der Folge in mehreren Abschnitten erweitert. Zunächst auf dem Gelände, dann sukzessive jenseits der Straße. Der Gemeinderat unterstützte das Wachstum, indem er strategische Planungen des international tätigen Konzerns in die Stadtentwicklung aufnahm – und weitere Flächen für den Erweiterungsbau reservierte.

 

Namensgebung nicht ohne Grund

Auch dafür wurde schon wertvolle Ackerfläche aufgegeben. Aber noch waren alle Argumente dem Wachstum untergeordnet. Die Gewerbesteuereinnahmen sprudelten ja auch verlässlich und erlaubten der aus vier Ortsteilen bestehenden Stadt, eine teure Infrastruktur vorzuhalten: mehrere Bibliotheken etwa. Auch die Realisierung zahlreicher Ortsumfahrungen, um die Lebensqualität in den Ortsteilen zu erhöhen, wurde möglich. Der Baubeginn der Heimerdinger Umfahrung scheint nun aber nach Jahrzehnten in greifbare Nähe gerückt zu sein.

Mit der sich anbahnenden Ansiedlung von Thales vor mehr als zehn Jahren nahm die Diskussion eine andere Wendung. Plötzlich ging es nicht mehr allein darum, Wachstum zu mehren. Ebenso wichtig wurde nun der Ackerboden, der für die Ansiedlung an dieser Stelle verloren ging. Den Landwirten wurde ein Teil ihrer Lebensgrundlage genommen, zugleich verschwand zunehmend ein Teil dessen, was die Kulturlandschaft seit jeher prägte – das Strohgäu war nicht ohne Grund zu seinem Namen gekommen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Standortpolitik in der Region

Als mehrere Tausend Lastwagen dann 2012 den Boden in Vorbereitung des Baugrunds für Thales abfuhren – und zum Teil auf Leonberger Böden zu deren Verbesserung abluden –, sagte der damalige Ditzinger Ortsobmann des Bauernverbandes, Karl Stückel: „Es wäre eine Todsünde, wenn man den Boden auf die Deponie fahren würde.“ Fruchtbares Ackerland gehe für Ditzingen unwiederbringlich verloren. „Das höchste Kulturgut der Menschheit gehört in Zukunft geschützt“, forderte er. Zumal es bessere Böden als im Strohgäu nur in der Magdeburger Börde und der Ukraine gebe.

Ein neuer Aspekt prägt fortan die Diskussion

Im Wesentlichen nicht öffentlich wurden im Gemeinderat nun bisher zurückhaltende Stimmen laut, und bestimmende Aspekte des Wachstums wie Verkehrszunahme, Versiegelung, Infrastrukturausbau, Wohnraumbedarf prägten fortan stärker die Diskussionen. Gleichwohl stand der Gemeinderat mehrheitlich weiter hinter der – von ihm selbst verantworteten – Ansiedlungspolitik.

Auf Kritik aus der Bevölkerung an der Deutschlandzentrale von Thales, welche für manch einen noch lange wie ein Fremdkörper wirkte, antwortete die Verwaltungsspitze im gleichen Duktus wie der Chefplaner der Region, Thomas Kiwitt: Der Wohlstand in Kommune und Region käme nicht von ungefähr, und ein Büro- und Forschungskomplex sei angenehmer als Lärm und Dreck produzierendes Gewerbe oder gar Industrie.

In der Folge der Thales-Ansiedlung bekam die Diskussion um den Erhalt der Kulturlandschaft ein deutlich größeres Gewicht in der kommunalpolitischen Diskussion. Daran hat sich nichts geändert. Eine veränderte Gesetzgebung in Bund und Land ging zwar mit der veränderten Sichtweise in der Stadt einher, war aber nicht alleiniger Grund für die neue Betrachtung im Gemeinderat.

Luftbilder-Serie „BW von oben“

Wandel der Zeit
Wie hat sich der Altkreis Leonberg seit 1968 verändert? Die Serie „BW von oben“ stellt nicht nur die Luftbilder von damals und heute dar, sondern auch die Geschichten, die diese Bilder erzählen. Dafür kooperiert unsere Zeitung mit dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung und dem Landesarchiv. Alle Beiträge der Serie sowie die Landkarten ganz Baden-Württembergs von 1968 und von heute werden unter www.stuttgarter-zeitung.de/bw-von-oben gesammelt.