Um den Stickoxidwert zu drücken, werden von Juni an zwei Hauptverkehrsadern umgebaut. Autofahrer müssen künftig deutlich langsamer fahren. Die Verwaltung will mit 4,5 Millionen Euro vom Bund lang angestrebte Ziele erreichen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Höflichkeit schadet der Luftqualität. Wer seinen Wagen anhält, um einen anderen Autofahrer vor sich ausparken zu lassen, stoppt den Verkehr hinter sich und erhöht den Stickoxidausstoß. Derart zuvorkommende Zeitgenossen „gibt es eben viele in Herrenberg“, sagt der Baubürgermeister Tobias Meigel. Deshalb sollen entlang der Horber- und der Hindenburgstraße, beides Hauptverkehrsadern, sämtliche Parkplätze verschwinden, die quer zur Fahrtrichtung angelegt wurden – unter anderem.

 

In den Hochzeiten der Debatten um Dieselfahrverbote hatte die Kanzlerin Angela Merkel zum Dieselgipfel geladen – das war im Februar 2018. Seinerzeit ist Herrenberg zu einer von fünf Modellstädten gekürt worden, in denen beispielhaft ein wirksames Vorgehen gegen den Schadstoff Stickoxid erprobt werden sollen. Ebenfalls ausgewählt wurden Reutlingen, Mannheim, Essen und Bonn.

Warum die Wahl auf Herrenberg fiel, ist dem Baubürgermeister unklar

Warum die Wahl auf Herrenberg fiel, ist dem Baubürgermeister bis heute unklar. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass die Gemeinde den Zuschlag bekam, weil sie bereits fertige Pläne zum Umbau ihres Straßennetzes vorlegen konnte, die nur ihrer Verwirklichung harrten. Obwohl der Herrenberger Gemeinderat bis zur jüngsten Kommunalwahl stets konservativ dominiert war und mit dem Oberbürgermeister Thomas Sprißler ein Freier Wähler das Rathaus leitet, sind sämtliche Pläne auf Luftreinhaltung, Lärmminderung und das Wohl von Radfahrern wie Fußgängern ausgerichtet. Dass sich die Bundesregierung unverhofft bereit erklärte, die Kosten dafür zu übernehmen, empfanden und empfinden die Verantwortlichen im Rathaus als Glücksfall. 4,5 Millionen Euro zahlt der Bund. Das entspricht 95 Prozent der Kosten.

„Es klingt zwar platt, aber je mehr aufs Gas getreten wird, desto höher sind die NO2-Werte“, sagt Meigel. Deshalb sollen Autofahrer das Gaspedal möglichst nur noch antippen und in dieser Stellung halten. Dies mit sanftem Zwang: die Ampeln im Stadtzentrum werden künftig von einem zentralen Rechner gesteuert. Die Technik errechnet nicht nur je nach Verkehrslage eine Grüne Welle, sondern schreibt auch wechselnde Tempolimits vor. Auf den beiden Hauptstraßen gelten 40 Stundenkilometer künftig als Höchstwert. An Geschwindigkeiten bis hinunter auf 20 müssen Autofahrer sich gewöhnen. Solche Schleichtempi gelten zwar als schädlich für die Luftqualität. Der oberste Grundsatz für geringen Schadstoffausstoß ist allerdings ein gleichmäßiger Verkehrsfluss ohne Bremsverzögerung und Beschleunigung. Eben dies soll erreicht werden.

Parkplätze werden zu Radwegen umgebaut

Vorbereitungen sind bereits im Gang. Der eigentliche Umbau der Hindenburg- und der Horber Straße soll Anfang Juni beginnen und zum Jahreswechsel beendet sein. Bis dahin wird der Verkehr auf Umleitungen und mutmaßlich zäh fließen. Am Ende „werden wir ein Plus an Sicherheit haben, eine ruhigere Stadt, bessere Luft und eine höhere Aufenthaltsqualität“, sagt Meigel. Entlang der Hauptverkehrsadern werden statt der Parkplätze durchgängige Radwege gebaut. Auch Fußgänger bekommen mehr Platz und mehr Möglichkeiten, die Straßen zu überqueren. Gleichsam nebenbei wird der Unfallschwerpunkt Horber Straße entschärft. Dort waren in der Vergangenheit auffällig oft Fußgänger oder Radfahrer verunglückt.

Wie in Herrenberg zu weitreichenden Anlässe üblich, war zu den Umbauten eine Bürgerversammlung geplant. Der Informationsabend ist dem Coronavirus zum Opfer gefallen. Ersatzweise sollen Fragen und Vorschläge im Internet formuliert werden können. Die Formulare werden vom 1. bis zum 10. Mai freigeschaltet sein.