Autofahrer müssen sich von 2018 an auf zeitweise Fahrverbote in der Stuttgarter Innenstadt einrichten. Die Regelung wäre deutschlandweit einmalig.

Stuttgart. - Vom 1. Januar 2018 an wird es Fahrverbote in der Landeshauptstadt geben. Darauf haben sich zwei Kläger und das Land am Dienstag vor dem Verwaltungsgericht geeinigt. Ziel ist die Verbesserung der Luftqualität vor allem am Feinstaub-Brennpunkt Neckartor. Was kommt damit auf die Autofahrer zu?

 

Was ist der Hintergrund für das Verbot?

Grund sind die Überschreitungen der europäischen Grenzwerte für krebserregenden Feinstaub und Stickstoffdioxid. Eine wesentliche Quelle für diese Stoffe ist der Autoverkehr, vor allem natürlich an der stark befahrenen B 14 beim Neckartor. Das Land hat im Entwurf für die dritte Auflage des Luftreinhalteplans für Stuttgart viele Aktionen gegen die Schadstoffe vorgesehen. Erwähnt ist auch ein Fahrverbot.

Wer hat das verbindliche Verbot gefordert?

Zwei Stuttgarter, die direkt am Neckartor und etwa 120 Meter von der B 14 entfernt im Kernerviertel wohnen, hatten das Land erneut verklagt. Ihnen gingen die bisherigen Maßnahmen nicht weit genug, die Schadstoffwerte sinken zu langsam. Die Grenzwerte beim Feinstaub – maximal 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an maximal 35 Tagen im Jahr – müssten schon seit Februar 2005 eingehalten werden. Das wurden sie aber nie. 2015 gab es 72 Überschreitungstage. Der Stickstoff-Grenzwert gilt seit Januar 2010 und wird regelmäßig gerissen. Es war insgesamt die Feinstaubklage von Bürgern.

Verkehrsbeschränkungen statt Fahrverboten

Wer darf klagen?

Klagen dürfen nur direkt von den überhöhten Schadstoffwerten betroffene Bürger oder Umweltverbände. Im Verfahren am Dienstag war zum Beispiel die Frage, ob der Kläger aus der Kernstraße überhaupt betroffen ist, denn dort müssten die Grenzwerte, so das Gericht, bereits unterschritten sein. Die Klage von Dienstag ist nicht die Letzte zum Thema. Die Deutsche Umwelthilfe hat eine eingereicht. Deren Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kündigte an, er wolle Fahrverbote für die ganze Stadt erreichen.

Was bedeutet der Vergleich für die Autofahrer?

In dem Vergleich steht, dass bei einer Grenzwertüberschreitung 2017 „mindestens eine rechtmäßige verkehrsbeschränkende Maßnahme für das Neckartor“ ergriffen werden muss. „Wir sprechen nicht von Fahrverboten, sondern von Verkehrsbeschränkungen“, sagt Christoph Erdmenger, der Leiter der Abteilung Nachhaltige Mobilität im Landes-Verkehrsministerium. Konkret bedeutet die Beschränkung aber eine räumlich und zeitlich begrenztes Fahrverbot.

Wer wäre betroffen?

Da gibt es, Abhängig von der Einführung der blauen Plakette, mehrere Möglichkeiten. Führt der Bund die blaue Plakette ein, die Autos mit der Schadstoffnorm Euro 6 (Diesel) und Euro 3 (Benziner) erhalten sollen, können bestimmte Streckenabschnitte in der Stadt für Fahrzeuge mit schlechterer Abgasreinigung gesperrt werden. Es gäbe dann eine Umweltzone für Fahrzeuge mit blauer Plakette innerhalb der heutigen Umweltzone mit grüner Plakette. „Das wäre die einfachste Möglichkeit, in Teilen des Stadtgebiets würde bei Feinstaubalarm blau gelten. Wir erkennen damit auch die Interessen von Fahrzeugbesitzern an, die sich erst vor wenigen Jahren ein neues Auto gekauft haben“, so Erdmenger. Dessen Nutzung würde zeitweise und auf bestimmten Stecken eingeschränkt, aber nicht grundsätzlich verboten.

Für den vergleich hätte es keinen Prozess gebraucht

Und wenn die Plakette nicht kommt?

Dann müssen Land, Regierungspräsidium und Stadt dennoch den Verkehr so weit beschränken, dass das Auto-Aufkommen am Neckartor wie im Vergleich beschrieben „um ca. 20 Prozent gegenüber vergleichbaren Tagen“ zurückgeht. Das könnte durch eine Beschilderung geschehen. Wie diese aussehen könnten wieß das Land nicht. „Wir sind mitten in der Arbeit“, sagt Erdmenger. Die 20 Prozent weniger Autos sollen ausreichen, um den Feinstaub-Grenzwert einzuhalten. Für den Stickoxid-Grenzwert reicht es nicht. Das wussten die Kläger. Sie gingen den Vergleich dennoch ein, weil das Verfahren bei einem Urteil in die nächste Instanz getrieben worden wäre. Das hatte zumindest der Anwalt des Landes angekündigt. Damit hätten die Kläger ein weiteres Jahr verloren.

Hätte das Land nicht schon früher einlenken können?

Aus heutige Sicht ja. Für den Vergleich hätte es keinen Prozess gebraucht. Aber das Land sah die Klage als unbegründet an. Die Einigung ist wesentlich dem Vorsitzenden Richter Wolfgang Kern zu verdanken, der jede geplante Einzelmaßnahme des neuen Luftreinhalteplans unter die Lupe nahm und die Behördenvertreter mit seinen Nachfragen erheblich unter Druck setzte. Kern erlaubte sich manche Spitze, zum Beispiel diese: „Braucht alles, was Sie andenken, noch fünf Jahre?“

Kann das Fahrverbot noch gekippt werden?

Ja, wenn die neue Landeskoalition aus Grünen und CDU dem Vergleich nicht bis zum 30. Juni zustimmt, wird der Klägeranwalt Roland Kugler den Vergleich widerrufen. Dann will Richter Kern ohne weitere mündliche Verhandlung ein Urteil fällen. Das liefe dann aber wohl wieder auf Verkehrsbeschränkungen am Neckartor hinaus. Kern ist zuversichtlich, dass ihm diese Arbeit erspart bleibt. „Ich gehe davon aus, dass der Ministerrat so serös besetzt wird, dass er dem Vergleich zustimmt. Es geht um den Gesundheitsschutz.“ CDU und Grüne waren beim Thema Fahrverbote bisher nicht einer Meinung.

Gibt es aus dem Vergleich politische Gewinner und Verlierer?

Das kann man so sehen. Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann hatte Mitte 2015 angekündigt, verbindliche Fahrverbote schon 2018 aussprechen zu wollen, wenn die Luftqualität weiter so schlecht bleibe. Stuttgart OB Fritz Kuhn, auch Grüne, bremste Hermann aus und wollte zuletzt verkehrsbeschränkende Maßnahmen ab 2018 nicht ausschließen. Nun sind sie verbindlich. Kuhn sagte nun am Mittwoch, das zweistufige Konzept der Stadt sei bestätigt.