Klaus Spieske hat sich nach einer Internetanleitung einen eigenen Feinstaubsensor zusammengebaut und auf seinem Balkon in Stuttgart-Vaihingen aufgestellt. Die Werte, die der Sensor ermittelt, zeigen Überraschendes.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen - Dunkelrot ist das Sechseck, das den Sensor von Klaus Spieske auf der Übersichtskarte darstellt. Dunkelrot bedeutet, dass der Feinstaubwert in der Luft extrem hoch ist: 143 Mikrogramm pro Kubikmeter zeigt er an. Die Grenzwerte, welche die Stadt am Neckartor aufgestellt hat, liegen bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Schadstoffe, die der Sensor auf dem Balkon im Norden von Stuttgart-Vaihingen ausgemacht hat, sind allerdings nicht von einem alten Dieselfahrzeug verursacht, sondern vom Nachbarn: Der hat nämlich unmittelbar unter den gebogenen Rohren des Detektors seinen Grill angeworfen. Der Aprilscherz des Radiosenders Antenne 1, die Stadt würde bei Feinstaubalarm das Grillen verbieten, ist also gar nicht so weit hergeholt. „Als ich das erste Mal so hohe Werte abgelesen habe, dachte ich, der Sensor sei kaputt“, sagt Spieske. Doch der funktioniert einwandfrei, nicht nur als Grilldetektor.

 

Ein Feinstaubsensor für den eigenen Balkon

Den Feinstaubsensor hat sich Spieske, der auch für die Grünen im Vaihinger Bezirksbeirat sitzt, selbst zusammengebaut. Die Bauteile kann man über das Internet bestellen, eine Anleitung findet man dort ebenfalls, sogar in Form eines Videos. Die Idee der privaten Feinstaubsensoren kommt vom OK Lab. OK steht für Open Knowledge, also offenes Wissen. Solche „Labors“ gibt es in ganz Deutschland, seit 2015 auch in Stuttgart. Die Initiatoren wollen für bestimmte Themen ein Bewusstsein in der Gesellschaft schaffen, im Falle Stuttgarts ist es der Feinstaub. „Die Bürger tragen zu unseren Projekten bei, sie basteln die Sensoren und messen an von ihnen ausgewählten Stellen“, erklärt Jan Lutz, der Leiter des OK Lab Stuttgart. In den Bereichen Wetter und Vogelkunde würden ähnliche Datenerfassungen bereits seit Jahren praktiziert.

Der Bau des Feinstaubsensors ist laut Spieske recht einfach. „Da braucht man keine technische Ausbildung. In wenigen Minuten war alles zusammengesteckt und funktionsfähig“, sagt er. Die Bauteile kann man für insgesamt etwa 30 Euro auf der von OK Lab betriebenen Internetseite www.luftdaten.info bestellen. Nach der Registrierung übermittelt der Sensor, so lange er an Stromversorgung und Wlan angeschlossen ist, die Werte automatisch. Auf einer Übersichtskarte findet man die aktuellen Werte, eine Historie aller gemessenen Werte gibt es ebenfalls auf der Internetseite. Die Initiatoren des OK Lab hatten sich zum Ziel gesetzt, 300 private Feinstaubsensoren in Stuttgart aufstellen zu lassen. „Wir sind aktuell bei etwa 250“, sagt Lutz zufrieden. „Wir wollten eine flächendeckende Feinstaubüberwachung. Und insbesondere in der Innenstadt sind wir bereits gut dabei.“

Feinstaub gibt es nicht nur im Kessel

Vor dem Abendessen seines Nachbarn hatte der Feinstaubsensor bei Klaus Spieske noch einen Wert von acht Mikrogramm pro Kubikmeter angezeigt. Die Werte lagen wie in ganz Stuttgart an diesem Abend im grünen Bereich. Nur 16 Stunden später war der Wert im Zentrum Stuttgarts bei 70 – Feinstaubalarm. Auch bei Spieske zeigte der Sensor 55 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an. „Ich bin jedes Mal erstaunt, wie hoch der Wert in Vaihingen ist, wenn in der Stadt Feinstaubalarm gilt“, sagt Spieske. „Und das belegt eben, dass der Feinstaub nicht nur am Neckartor ist, sondern auch hier bei uns am Rande Stuttgarts.“ Genau das möchten Jan Lutz und seine Mitstreiter des OK Lab Stuttgart zeigen: „Feinstaub ist kein punktuelles Phänomen. Bei einer Inversionswetterlage sind die Werte überall zwischen Reutlingen und Heilbronn hoch“, sagt Lutz.

Bei einer solchen Wetterlage nimmt die Lufttemperatur nach oben hin zu statt wie im Normalfall ab, es findet kein Austausch der Luftmassen statt. Es entsteht eine Sperrschicht, unter der sich Abgase und Luftschadstoffe sammeln. „Nicht nur bei Inversionswetterlagen, sondern auch sonst ist der Feinstaub da, er wird nur durch den Luftaustausch weggetragen“, sagt Lutz. Durch die Veranschaulichung der schlechten Werte möchten die Initiatoren die Bürger auch anregen, über ihr eigenes Mobilitätsverhalten nachzudenken, auch, wenn die Autoabgase und der Reifenabrieb auf der Straße nur einen Teil des Feinstaubs ausmachen. „Man muss nicht jede Strecke mit dem Auto zurücklegen“, sagt Lutz. Das sieht auch Klaus Spieske so. „Fahrverbote sind in einer Automobilstadt wie Stuttgart sicher der letzte Weg“, sagt er. „Aber irgendwann muss man vielleicht abwägen zwischen Gesundheit und Mobilität.“