Wenigstens darüber herrscht in den Reihen der Christdemokraten tatsächlich Einigkeit: Die Partei muss sich personell erneuern. Aber welche politische Ausrichtung mit der Neuaufstellung verbunden werden soll, ist umstritten. Kernfrage; In der Mitte bleiben oder nach rechts rücken?

Berlin - Mit der Ankündigung Armin Laschets, den Weg zu einer Neuaufstellung der Partei frei zu machen, beginnt der Machtkampf um den Parteivorsitz. Schwer zu glauben, dass Laschet dabei wirklich die Chance haben sollte, den Prozess tatsächlich noch zu moderieren, wie er es sich selbst offenbar vorstellt. Das Bewerberfeld ist groß. Zwei Dinge fallen auf: Alle derzeit als chancenreich geltenden Kandidaten kommen aus NRW. Und unter den ganz heißen Favoriten auf den Vorsitz befindet sich keine Frau.

 

Noch ist ziemlich unklar, wer sich durchsetzen wird. Eine entscheidende Rolle spielen Verfahrensfragen. Soll der Bundesparteitag allein entscheiden, oder sollte diesmal eine Mitgliederbefragung vorgeschaltet werden? Darauf hofft vor allem Friedrich Merz, denn er hält sich für den Liebling der Basis. Allerdings macht eine Mitgliederbefragung den Prozess weniger berechenbar. Die Tür ginge auch für Überraschungskandidaten auf. Wir geben einen ersten Überblick über das Feld der Aspiranten:

Friedrich Merz (65)

Merz hat schon zweimal bei einer Kampfabstimmung um den Vorsitz verloren, zunächst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, dann gegen Armin Laschet. Sein Bedarf an Niederlagen ist damit gedeckt. Über Twitter hat er nun angekündigt, er wolle „nicht erneut in eine streitige Abstimmung bei einem Bundesparteitag gehen“. Es sei noch nicht entschieden, ob er „erneut antreten“ werde. Was im Klartext heißt: Er sondiert das Feld. Seine Taktik: Was ihm die Parteitagsdelegierten – oder in seinen Worten: das Establishment – verwehrt haben, sollen nun die Mitglieder möglich machen. Merz setzt darauf, aus einer Mitgliederbefragung als Sieger hervorzugehen. In seinen Worten: „Ich finde es richtig, über die Frage zu sprechen, wie wir unsere 400.000 Mitglieder einbeziehen.“ Merz stünde für einen wirtschaftsliberalen und stärker konservativ ausgerichteten Kurs der Union.

Jens Spahn (41)

Der Münsterländer hatte im Rennen um Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur Armin Laschet den Vortritt gelassen, was damals viele Parteifreunde gewundert hatte. Bis zum Wahltag blieb er loyal, seither macht er sehr deutlich, dass er eine Neuaufstellung und Verjüngung der Partei für dringend notwendig hält. Er wäre der Bewerber, der die Verjüngung am glaubhaftesten repräsentieren könnte. Spahn hat gute Drähte zur CSU, was nicht schädlich ist. In der Coronakrise stand er als Gesundheitsminister an vorderster Front. Dabei sind ihm auch Fehler unterlaufen. Es ist unklar, ob das seiner Stellung in der Partei geschadet hat. Spahn ist durchaus konservativ, würde die Partei aber sicher für neue gesellschaftliche Strömungen und Themen öffnen. Gut möglich, dass er damit den Nerv der Partei derzeit am besten trifft.

Norbert Röttgen (56)

Der Rheinländer Röttgen hatte im Rennen und den Parteivorsitz als dritter Bewerber neben Laschet und Merz eine gute Figur abgegeben. Seine damaligen drei Schlagworte für den Veränderungsprozess der CDU – „jünger, weiblicher, digitaler“ – haben noch immer Geltung. Röttgen hat sich in der Fraktion in seiner Funktion als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses seit 2014 einen sehr guten Ruf erarbeitet. Die Erinnerung an sein Katastrophenjahr 2012 ist verblasst. Damals war er als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in NRW klar gescheitert und wurde gegen seinen Willen anschließend von Bundeskanzlerin Merkel als Umweltminister entlassen. Röttgen hat keine Berührungsängste mit den Grünen. Dass er aufgrund seiner politischen Biografie nicht ins Merkel-Lager einzuordnen ist, andererseits aber nicht zu den Bannerträgern eines Rechtsrucks der Union gehört, macht ihn für viele Parteimilieus wählbar.

Ralph Brinkhaus

Dass der Ostwestfale Schneid hat, bewies er im September 2018, als er überraschend gegen den Amtsinhaber Volker Kauder zur Wahl des Vorsitzenden der Bundestagfraktion der Union antrat und sich hauchdünn mit 125 zu 112 Stimmen durchsetzte. In der Merkel-dominierten und auf Harmonie eingestellten Union war das ausgesprochen ungewöhnlich. Inzwischen hat er sich als Fraktionschef auch den Respekt und die Anerkennung derjenigen erworben, die ihn damals nicht gewählt haben. Brinkhaus stützte natürlich die CDU-geführte Bundesregierung, brachte aber deutlicher und selbstbewusster als sein Vorgänger die Interessen der Fraktion in den politischen Prozess mit ein. Diese Betonung der Unabhängigkeit der Abgeordneten und der Eigenständigkeit der Partei könnten ihn auch als Parteichef qualifizieren. Als Fraktionschef hat er jedenfalls gezeigt, dass er die unterschiedlichen Strömungen zu integrieren weiß. Brinkhaus betont vor allem das wirtschaftspolitische Profil der Union.

Carsten Linnemann (44)

Linnemann ist der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) der Partei. Mit ihm beginnt die Reihe derjenigen, deren Wahl an die Parteispitze eine große Überraschung wäre. Auch Linnemann gehört wie Merz und Brinkhaus zu denen, die die Partei wieder stärker wirtschaftspolitisch und konservativ profilieren wollen. Linnemann zeichnet derzeit ein sehr düsteres Bild von der Lage der Partei. Vielleicht braucht er auch solch drastische Lagebilder, um die Bereitschaft, unerwartete Lösungen der Vorsitzenden-Frage in der Partei wachsen zu lassen. Er sagt, die Union stehe vor einer „existenziellen Frage“. Linnemann hat zuletzt die Debatte um eine Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke wieder angeheizt. Ein gutes Klima im Verhältnis zu den grünen steht ganz sicher nicht ganz oben auf seiner Agenda.

Silvia Breher (48)

Breher ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei und damit eigentlich in einer Position, in der man sozusagen automatisch auch für das Amt der Bundesvorsitzenden in Frage käme. Aber es ist auffallend, dass in der gegenwärtigen parteiinternen Debatte Frauen praktisch keine Rolle spielen. Die Niedersächsin könnte erst dann als Bewerberin ins Spiel kommen, wenn sich zwei Prozesse überlagerten: ein wachsendes Unbehagen darüber, dass der Landesverband NRW den Vorsitz sozusagen unter sich ausmacht, obwohl gerade mit Armin Laschet ein Mann aus NRW krachend gescheitert ist. Und es müsste deutlich werden, welches Bild es vermittelt, wenn der Vorsitz in der Union wieder als reine Männersache abgehandelt wird. Breher kommt aus dem Bundestagwahlkreis Cloppenburg-Vechta, eine konservative Hochburg der Partei. Sie passt aber durchaus nicht ins konservative Klischee, was auch ihr Engagement für Frauenrechte deutlich macht. Bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe war sie 2017 noch nicht im Bundestag, sprach sich aber dafür aus.