Nach dem Sturz des Präsidenten Mursi ist Guido Westerwelle der erste westliche Außenminister, der das gespaltene Land besucht. Dabei vermeidet er es tunlichst, von einem „Militärputsch“ zu sprechen. Seine Diplomatie stößt aber an Grenzen.

Kairo - Guido Westerwelle reist ins Ungewisse. Als die Maschine der Luftwaffe am Mittwoch vom Berliner Flughafen Tegel abhebt, kann der deutsche Außenminister (FDP) nicht einmal sicher wissen, wie lange sein Aufenthalt in Ägypten dauern wird. Das Kabinett der Militärregierung hat zu diesem Zeitpunkt die Räumung der Protestlager der Muslimbrüder verfügt. Auch wenn es in der Delegation nicht so offen ausgesprochen wird, ist doch zu diesem Zeitpunkt klar: sollten die Sicherheitskräfte ein Blutbad anrichten, wird dies eine kurze Reise. Aber die Nacht in Kairo bleibt verhältnismäßig ruhig, kein Grund also zu einer raschen politischen Reaktion.

 

Es ist ein Drahtseilakt, auf den sich Westerwelle einlässt. Man will die Gesprächsfäden nicht abreisen lassen – in beide Lager, will in Kontakt bleiben mit den Militärs und den eher säkularen Gruppen, die den Staatsstreich bejubeln, aber auch mit den Muslimbrüdern, deren Anhängerschaft noch immer groß genug ist, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen.

Gespräche mit beiden Konfliktparteien

Westerwelles Reiseplan sieht deshalb Gespräche sowohl mit der Regierung als auch mit der Opposition vor. Außenminister Nabil Fahmi empfängt ihn, Präsident Adli Mansur, der Vizepräsident für internationale Beziehungen Mohammed al-Baradei und der momentan mächtigste Mann im Staat, Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sissi. Sie alle hoffen vergeblich auf Verständnis für den Staatsstreich. Später trifft er mit Vertretern der Muslimbrüder zusammen, die allerdings ebenso vergeblich ein klares Signal der Empörung erwarten. Denn die Voraussetzung für Gespräche mit beiden Konfliktparteien ist nach Ansicht nicht nur der deutschen Diplomatie, sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu positionieren. Getreu der goldenen Regel, sich in einem gespaltenen Land besser nicht mit beiden Füßen auf eine Seite des Grabens zu stellen. Westerwelle will folglich am liebsten gar nichts zur Frage sagen, wie er das einordnet, was in den vergangenen Wochen in Ägypten passiert ist. Ein Putsch der Muslimbruderschaft gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi? Oder vielleicht doch das legitime Aufbegehren eines unterdrückten Volkes, dem die Armee zu Hilfe gekommen ist?

Westerwelle formuliert vorsichtig

Nach einem Treffen mit Interimsaußenminister Fahmi formuliert Westerwelle seine Position denn auch entsprechend unparteiisch: „Das sind die ersten Minuten einer historischen Stunde, und wir werden eine Entwicklung, die im Fluss ist, zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen, das ist unmöglich.“

Westerwelle war nicht von Anfang an so vorsichtig. Unmittelbar nach dem Sturz von Mursi am 3. Juli hatte er noch von einem Rückschlag für die Demokratie gesprochen. Und als Mursi von der Bildfläche verschwand und an einen unbekannten Ort verschleppt wurde, forderte er dessen Freilassung. Beide Äußerungen will er nun nicht mehr wiederholen, auch auf Nachfrage nicht. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton habe sich ja jetzt davon überzeugen können, dass es dem Ex-Präsidenten in der Haft den Umständen entsprechend gut gehe, erklärte Westerwelle. Alles Weitere werde man im Lichte der künftigen Entwicklung bewerten, auch etwaige Finanzhilfen über das aktuelle Jahr hinaus.

Er könne allen Beteiligten nur raten, „eine friedliche Lösung des Ausgleichs“ zu suchen, betonte der Außenminister. „Alle politischen Kräfte“ seien aufgefordert „ihre Verantwortung zu kennen, konstruktiv mitzuwirken und auf Gewalt in jeglicher Form zu verzichten.“ Notwendig sei eine „integrative Lösung“. Diese Formulierung ist abgestimmt mit den westlichen Partnern.

Keine Begeisterung über die deutsche Zurückhaltung

Auf beiden Seiten des Grabens hält sich die Begeisterung für Westerwelles Zurückhaltung natürlich in Grenzen, aber man redet wenigstens mit ihm. Das ist in einer solchen Situation nicht gering zu schätzen. Wer redet, tut sich schwer, zur gleichen Zeit zu schießen. Das ist wohl auch eines der Ziele der emsigen internationalen Reisediplomatie, die in diesen Tagen in Kairo zu beobachten ist und die nach den Besuchen von Ashton und Westerwelle nicht enden soll. Mit einer hochrangigen US-Visite wird in den kommenden Tagen gerechnet. Man will mit diplomatischer Dauerpräsenz das Militär davon abhalten, die Protestcamps zu räumen und zugleich die Chancen für einen friedlichen Weg hin zu raschen Neuwahlen ausloten. Nur diese könnten aus Sicht der westlichen Staatengemeinschaft im Nachhinein den Umsturz legitimieren.

Westerwelle redet auch mit Vertretern der Tamarrod-Bewegung, die den Sturz Mursis mit betrieben haben und die überhaupt nicht verstehen wollen, weshalb ausgerechnet Deutschland sich derart zurückhält, diesen Wechsel zu akzeptieren.

“Sehr ernstes“ Gespräch mit dem Armeechef

Sie sagen ihm, dass abermals das Volk gesprochen habe, als die Muslimbrüder entmachtet worden seien. Gerade Deutschland müsse doch wissen, dass auch ein demokratisch gewählter Mann sich ins Unrecht setzen und eine Revolte rechtfertigen könne. Sie vergleichen die Situation am Nil mit dem Dritten Reich. Adolf Hitler sei doch auch demokratisch an die Macht gelangt. Und es wäre doch sicher besser gewesen, ihn zu beseitigen. Bei Mursi sei dies nicht anders. So reden sie. Westerwelle weist solche Vergleiche umgehend scharf zurück. Das Dritte Reich und seine Folgen, dieses „größte Verbrechen“ dürfe „in keiner Weise verharmlost werden, indem man es mit anderen Entwicklungen, wo auch immer, vergleicht.“

Außenminister Fahmi zeigt trotz vieler freundlicher Worte ebenfalls kein Verständnis für die Zurückhaltung des deutschen Außenministers, das neue Regime anzuerkennen. Und nach dem Treffen mit General al-Sissi heißt es aus Delegationskreisen, es sei ein „sehr ernstes, langes Gespräch“ mit „klaren Botschaften“ und „gegenseitigem Zuhören“ gewesen. Übersetzt bedeutet diese diplomatische Wendung so viel wie: offener Dissens, keinerlei Annäherung. Die nächsten Minuten dieser „historischen Stunde“ könnten also dramatisch werden. Daran hat wohl auch Westerwelles Besuch wenig ändern können.