Im Kampf gegen den Terror funktioniert der Datenaustausch zwischen Geheimdiensten und Polizei der EU-Staaten nur unzureichend. Das ist ein Sicherheitsrisiko.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Mit jeder Festnahme wird deutlicher: Die Attentäter von Brüssel und Paris waren international vernetzt und bewegten sich weitgehend unbehindert innerhalb Europas. Ein Grund dafür ist die mangelhafte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten der einzelnen EU-Staaten. Vielfach funktioniert der Datenaustausch nicht so wie vereinbart. Es gebe „enorme Mängel“ beklagt der CDU-Sicherheitsexperte Armin Schuster, früher Führungskraft der Bundespolizei. „Einzelne Geheimdienste arbeiten enger mit ihren US-Kollegen zusammen als mit denen in den europäischen Nachbarstaaten“, sagt der österreichische EU-Abgeordnete Heinz Becker. Er gehört dem für Sicherheitsfragen zuständigen Ausschuss des Europa-Parlaments an.

 

Es mangelt keineswegs an Dateien und Informationsplattformen, über die Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu terroristischen Umtrieben austauschen könnten. „Es hapert aber am Befüllen und an der Bestandspflege der verbindlich vereinbarten Systeme“, rügt Schuster. Nur fünf EU-Staaten, so der Abgeordnete Becker, stellten sämtliche Informationen zur Verfügung, die sich vertraglich zugesichert hätten. Auch Deutschland informiere nur selektiv. Becker sieht vor allem „Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit der großen Drei“. Damit sind Frankreich, Deutschland und Großbritannien gemeint. Das bestreitet das Bundesinnenministerium. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Ländern „war und ist sehr eng und vertrauensvoll“, behauptet das Ministerium, „auch auf bilateraler Ebene“. Zudem hätten die Inlandsgeheimdienste der EU-Staaten sich darauf verständigt, eine gemeinsame Plattform einzurichten, womit „der Austausch operativer Kenntnisse vereinfacht“ werden soll.

„Blinde Flecken“ bei der Suche nach Terrorverdächtigen

In einer aktuellen Zwischenbilanz der EU-Kommission ist von „Lücken in der EU-Architektur des Datenmanagements“ die Rede. Diese Architektur, die den Austausch von Daten zur Grenzkontrolle und zur Sicherheit vorgibt, sei durch eine „Zersplitterung“ gekennzeichnet. Der Missstand könne dazu führen, dass es „blinde Flecken“ gebe. Zudem sei es „sehr schwierig, Zusammenhänge zwischen den Datenfragmenten herzustellen“, heißt es.

„Angesichts der angespannten Sicherheitslage ‎kommt der Sicherung, Feststellung und Überprüfung von Identitäten eine herausragende Bedeutung zu“, sagt dazu Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Einzelinformationen seien häufig vorhanden, es sei aber oft nicht möglich, diese systematisch zusammenzuführen. Er fordert ein „intelligentes Informationssystem, das auf Doppelungen von Daten und Mehrfacherhebungen verzichtet und die Zweckbindung durch ein modernes Zugriffsmanagement stärkt“.

Sammelsurium von Datenregistern

Im Moment gibt es ein Sammelsurium unterschiedlicher Datenregister. Für den Bereich der Grenzkontrolle sind es folgende: das Schengen-Informationssystem (SIS), das Visa-Informationssystem (VIS) und Eurodac, wo die Fingerabdrücke von Asylbewerbern und Einreisenden aus Drittstaaten außerhalb der EU gespeichert werden. Dazu kommen eine Datei von Interpol zu gestohlenen und verlorenen Reisedokumenten (SLTD) sowie das Register für die Daten von Flugpassagieren (API). In den SIS-Computern wird ein breites Spektrum von sicherheitsrelevanten Informationen gespeichert: insgesamt 50 Millionen Daten, darunter auch Fahndungshinweise und Vermerke über Festnahmen. Der Minister bemängelt in einem Brief an die EU-Kommission, dass es „heute keinen systematischen Abgleich zum Zusammenführen der einzelnen Dateien zu sicherheitsbehördlichen Erkenntnissen“ gebe, sondern lediglich „nicht vernetzte Einzelinformationen“. Eine „noch bessere Vernetzung“ sei unerlässlich.

90 Prozent der Informationen stammen von fünf EU-Staaten

De Maizière stemmt sich aber gegen ein Gemeinsames Terrorabwehrzentrum von Polizei und Nachrichtendiensten auf europäischer Ebene, wie es in Deutschland seit 2004 existiert. Er hält die Kooperation dutzender Behörden unterschiedlicher Nationalität für schlichtweg nicht praktikabel.

Die europäische Polizeiagentur Europol ist dabei, eine Art Antiterrordatei für die komplette EU aufzubauen. Ein erster Schritt dazu ist die Datenbank EIS, in der es spezielle Auswerteschwerpunkte („Focal Points“) für den islamistischen Terrorismus und international vagabundierende Terror-Touristen gibt. Diese Bereiche wurden nach den Anschlägen gegen das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ massiv ausgebaut.

Nach Informationen aus dem Bundesinnenministerium sind unter dem Schlagwort „Hydra“, das für den islamistischen Terror steht, inzwischen 64 000 Einträge zu Personen gespeichert. Das Kapitel „Travellers“, das die reisenden Terrorverdächtigen betrifft, umfasst 19 000 Einträge. Vor einem Jahr waren es nur 3600. Die Bereitschaft, Daten einzuspeisen, ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. 90 Prozent der registrierten Informationen stammt von nur fünf Ländern, darunter Deutschland.