Parallel zur kommenden Weltausstellung präsentiert die norditalienische Metropole Mailand ein reiches Veranstaltungsprogramm unter dem Motto „Expo in der Stadt“.

Mailand - Von Leonardo ist nicht viel zu sehen. Die Statue auf der Piazza della Scala, die den Meister darstellt und sonst etwas versonnen von einem hohen Sockel auf das Opernhaus blickt, bekommt gerade hinter Reklamewänden einen frischen Look. Eingerüstet sind auch noch Teile der Fassade der berühmten Galleria zur Piazza Duomo und andere Bauwerke der Stadt. Doch bald sollen überall die Hüllen fallen, denn Mailand bereitet sich in einem Wahnsinnstempo auf die Weltausstellung vor, die am 1. Mai ihre Tore öffnet.

 

Wenn die Expo-Besucher kommen, will die Stadt „bella figura“ machen, sich von ihrer besten Seite zeigen. Urbanistisch mit gelifteten Fassaden, einer vierten und demnächst auch fünften U-Bahn-Linie, neuen Stadtvierteln, grünen Erholungsflächen und frisch angelegten Fahrradwegen sogar im Zentrum. Kulturell mit einem Veranstaltungsprogramm, das anregender kaum sein kann. Unter dem Motto „Expo in Città – Expo in der Stadt“ soll es Mailands Ruf als europäische Kulturmetropole festigen. Und obgleich die Weltausstellung auf einem 110  Hektar großen Gelände bei dem südwestlichen Vorort Rho noch gar nicht begonnen hat, läuft die „Expo in Città“ sich bereits warm.

Deshalb ist seit ein paar Tagen von Leonardo viel zu sehen. Jedenfalls im Palazzo Reale, dem Ausstellungszentrum an der Piazza Duomo, bei der größten Leonardo-Ausstellung, die je in Italien gezeigt wurde, mit insgesamt zweihundert Exponaten. Wo sollte sie sonst stattfinden? Mailand fühlt sich schließlich als Stadt Leonardos. Über zwei Jahrzehnte hat der Wissenschaftler, Erfinder und Künstler aus Vinci (1452 bis 1519) in der lombardischen Metropole gelebt und gearbeitet. In Mailand entstanden Gemälde wie die „Felsengrottenmadonna“ und wichtige Frauenbildnisse – von seinen ganzen Erfindungen und Studien mal abgesehen. In der Stadt ist heute noch das „Abendmahl“ (jetzt mit verlängerten Öffnungszeiten bis in den Abend) zu besichtigen, und in der Biblioteca Ambrosiana wird der Codex Atlanticus, eine riesige Sammlung seiner Zeichnungen und Skizzen, aufbewahrt und in Teilen parallel unter dem Titel „La mente di Leonardo“ (Der Geist Leonardos) ausgestellt.

Vom „disegno“ zum Design

Im Palazzo Reale kann man bedeutende malerische Arbeiten wie das Frauenbildnis der „Belle Ferronnière“ oder den heiligen Johannes den Täufer aus dem Louvre, den heiligen Hieronymus aus dem Vatikan oder die „Madonna Dreyfuss“ aus Washington sehen. Diese spektakulären Gemälde sind zusammen mit Referenzbildern etwa von Botticelli, Filippino Lippi oder Ghirlandaio geschickt in den Fluss der Erzählung eingewoben. Als roter Faden dienen den Kuratoren Zeichnungen etwa aus der königlichen Sammlung von Windsor. „Disegno“, das italienische Wort für Zeichnung, bedeutet auch Umriss oder Entwurf und ist ein Schlüsselbegriff der Renaissance. Rund hundert Blätter aus den vielfältigen Interessengebieten werden gezeigt. Denn die Skizze ist vielleicht der Teil, der am besten das Denken von Leonardo widerspiegelt. Sie ist sein Untersuchungsinstrument. Die erste Formulierung eines Problems erfolgt mit der Zeichnung.

Der Weg vom „disegno“ zum schillernden Begriff des Designs ist nicht weit. Die erste Expo-Probe wurde vergangene Wochen in Mailand gemeistert, als mehrere Hunderttausend Design-Begeisterte zum Salone del Mobile auf das Messegelände strömten. Und zudem die unzähligen Nebenveranstaltungen des sogenannten „Fuori Salone“ in den Galerien, Boutiquen, Studios und Ausstellungsräumen der Kreativviertel Tortona, Lambrate oder Brera bevölkerten.

Im Palazzo della Triennale, wo auch das Design-Museum untergebracht ist (und wo gerade eine Schau über den „Geist der Küche“ gezeigt wird) läuft seit zwei Wochen „Arts & Foods“. Das ist eine Ausstellung, die bereits von der Expo-Gesellschaft veranstaltet wird, in der man sich nicht sattsehen kann. Und doch ist das Menü von „Arts & Foods“ so reichhaltig, dass der Besucher es mit der gebotenen Muße genießen sollte, will er keine Verstimmung vor allem des Geistes riskieren.

Weder Kosten noch Mühen gescheut

Auf gut siebentausend Quadratmeter Ausstellungsfläche zeigen der Kurator Germano Celant und sein Team mehr als zweitausend Exponate aus einem Zeitraum von 1851 – als in London die erste Weltausstellung stattfand – bis heute. Artefakte aller möglichen Künste und kulturellen Formen sind zu sehen: Gemälde, Statuen und Installationen, Fotografien und Filme, Mode- und Designobjekte, Alltagsgegenstände und Werbeplakate. Und alles hat irgendwie mit dem Thema Essen und Trinken zu tun. Passend zum Motto der kommenden Expo 2015: „Den Planeten ernähren. Energie fürs Leben“. Arbeiten von James Ensor bis Joseph Beuys, von Pablo Picasso bis Andy Warhol, von Paul Gauguin bis Claes Oldenburg, von Marcel Duchamps bis Urs Fischer lassen auch 170 Jahre Kunstgeschichte passieren. Stile und Epochen geben sich – zum Glück streng chronologisch – die Klinke in die Hand: Impressionismus, Futurismus, Pop, Minimal . . .

Es sind neben den Großveranstaltungen die vielen kleinen Programmpunkte, die „Expo in Città“ so spannend machen. Darunter: Figuren von Juan Muñoz im Hangar Bicocca, Tony Craggs Skulpturen und Objekte auf dem Dach des Domes oder eine bislang nie ausgestellte Installation von Lucio Fontana in der Fondazione Marconi. Gegenwartskunst aus ganz Italien zeigt das Museo del 900. Dabei spielen öffentliche und private Veranstalter vorbildlich zusammen. Die Leonardo-Ausstellung (Kostenpunkt 4,5 Millionen Euro) wurde von dem Kunstbuchverlag Skira in Zusammenarbeit mit der Mailänder Stadtverwaltung produziert. Der Hangar Bicocca (wo bereits Kiefers sieben Himmelstürme stehen) schlägt finanziell bei Pirelli zu Buche, und für das Domdach hat die Diözese Sponsoren gefunden. Prada eröffnet auf eigene Kosten am 9. Mai ein neues Kulturzentrum, für das Rem Koolhaas eine alte Industrieanlage umgebaut hat. Im Sommer und Herbst geht es munter weiter: eine große Giotto-Ausstellung im Palazzo Reale zum Beispiel. Der Ex-Biennale-Kurator Massimiliano Gioni stellt außerdem für Trussardi unter dem Titel „La grande Madre“ eine Schau über Mutterschaft in der Kunst gestern und heute zusammen.

Jeden Tag eine Aufführung

Am 1. Mai beginnt auch eine „Expo-Spielzeit“ der Scala – jeden Tag eine Oper, ein Ballett oder ein Konzert. Eröffnet wird sie mit Puccinis „Turandot“ (Dirigent: Riccardo Chailly, Regie: Nikolaus Lehnhoff). Darauf folgt am 16. Mai die Uraufführung der Oper „CO2“ von Giorgio Battistelli nach einer Idee von Al Gore. Das Piccolo Teatro präsentiert sechs Monate einen „langen Sommer“ von Luca Ronconis letzter Regie „Lehman Trilogy“ bis zu Robert Wilsons „Odyssey“.

Dazu laufen in der Stadt bereits erprobte Festivals wie die sogenannte Book-City im Oktober (neunhundert Literaturveranstaltungen an vier Tagen) – die Modewochen im Juli und September nicht zu vergessen. Das Programm „Expo in Città“ weist mehrere Hundert Termine auf. Eine kulturelle Sause, die trunken machen könnte.