Mandatsträger sind Kontrolleure der Verwaltungen, nicht deren Handlanger. Das ist schon oft vergessen worden. Zum Beispiel in Ulm und Heidenheim, aber auch bei den Cross Boarder Leasing-Geschäften der Vergangenheit.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm/Heidenheim - Eine der größten Dummheiten des neuen Jahrtausends, zu denen kommunale Ratsgremien gleich dutzendweise ihre Zustimmung gegeben haben, ist unter dem Stichwort Cross-Border-Leasing in die Geschichte eingegangen. US-Investoren boten an, deutsche Messehallen, Straßenbahnschienen oder Abwassersysteme zu kaufen – und sie einen Atemzug später an Städte und Gemeinden wieder zurück zu vermieten. Die Amerikaner strichen im eigenen Land dafür enorme Steuervorteile ein, rund 200 Leasingnehmer in Deutschland machten ab dem Jahr 2001 beglückt mit. Mittendrin: die beiden Zweckverbände Bodensee-Wasserversorgung und die Landeswasserversorgung.

 

Die angeschlossenen Kommunen verkauften also Pumpwerke, Rohrleitungen und Hochbehälter für eine Laufzeit von 99 Jahren. Wer von den zustimmungspflichtigen Gemeinderäten von Affalterbach bis Ziertheim und von Großbottwar bis Plüderhausen-Urbach wollte, durfte unter Geheimhaltungspflicht vorher die bis zu 1000 Seiten starken englischsprachigen Leasingverträge durchblättern. Wenige Räte sind bekannt, die das getan haben und es dürften noch weniger sein, die wirklich verstanden, was sie gelesen hatten.

Der amerikanische Fiskus stoppte 2004 das Geldkreislaufmodell

Allerdings konnten in diesen großen Tagen der Gier auch Laien erkennen, dass hier, unter Vermittlung deutscher Banken, eine Übervorteilung des amerikanischen Steuerzahlers im Gang war. Gestört hat das die vielen deutschen Leasingnehmer aus der Kommunalpolitik nicht. Sollten die Amerikaner doch kommen und die Kanalrohre ausgraben, wenn das Geschäft in die Binsen gehe, wurde stattdessen gefeixt. 2004 machte der amerikanische Fiskus dem Geldkreislaufmodell den Garaus, es begannen schwierige und verschämte Rückzugsversuche aus den vielen schon geschlossenen Verträgen, die dennoch ihre Gültigkeit behalten hatten.

Was passieren kann, wenn Gemeinderäte bei der Aufsicht über wild gewordene Kämmerer oder über Geschäftsführer kommunaler Tochtergesellschaften versagen, zeigte sich vor einigen Jahren noch in einem anderen Spekulationsfall, der durchs Land gekrochen war wie ranziges Öl. Es ging um so genannte Swap-Geschäfte. Davon gab es, schmackhaft gemacht zum Beispiel von der Deutschen Bank oder dem Geldhaus J.P. Morgan, mehrere Versionen. In einer beliebten Variante tauschten Stadtkämmerer laufende Kredite in andere Währungen um, zum Beispiel in Schweizer Franken. Das Versprechen war es, dadurch Schuldzinsen zu sparen. Im Kern waren sämtliche dieser Produkte jedoch nichts anderes als hochspekulative Wetten an den Finanzmärkten.

Pforzheim gehörte zu den großen Verlierern

Die Stadt Pforzheim verlor auf beispiellose Weise. 57 Millionen Euro war sie nach Ende ihres Finanzabenteuers und quälenden juristischen Auseinandersetzungen dem Bankhaus J.P. Morgan schuldig. Diese Last wird noch lange drücken.

Glimpflich kam der oberschwäbische Abwasserzweckverband Mariatal davon, dessen Hauptanteilseigner die Stadt Ravensburg ist. Der Verband hatte sich ebenfalls schöne Gewinnmargen durch Swaps der Deutschen Bank versprochen. Als stattdessen ein Millionenverlust auflief, klagten Kommunalpolitiker vor dem Ulmer Landgericht. Sie beriefen sich auf ihre völlige Unwissenheit und die Falschberatung der Bank – und fanden den Glauben der Zivilkammer. Im konkreten Fall musste die Deutsche Bank eine Million Euro Rückzahlungen leisten. Der Prozess stand auf Messers Schneide. Bei ähnlich gelagerten Prozessen in Deutschland hatte das Frankfurter Geldhaus obsiegt.

Der große finanzielle Wurf, nach ihm streben in vielen Rathäusern die Karrieristen, und sie nehmen, so hat es manchmal den Anschein, dafür jedes Risiko in Kauf. 2007 verkaufte die Stadt Heidenheim hinter verschlossenen Türen ihre 5000 kommunalen Wohnungen an den luxemburgischen Immobilienkonzern Gagfah. Dass der Gemeinderat die Entscheidung, die gut ein Fünftel der ganzen Stadtbevölkerung anging, nichtöffentlich traf, begründete die Rathausspitze nachher mit den aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten gegenüber dem börsennotierten Käufer. Längst ist Gagfah hoch verschuldet und stößt nach und nach Besitz wieder ab, die Unruhe unter Heidenheimer Mietern ist deswegen groß.

Die Zukunft des Einkaufszentrums Sedelhöfe in Ulm ist ungewiss

Dass die besserwisserische Öffentlichkeit weitgehend draußen bleibt, dafür verbürgten sich im Fall eines neu geplanten Einkaufszentrums gegenüber einem Großinvestor auch die Verwaltung und der Gemeinderat der Stadt Ulm. Die Projektgesellschaft MAB ist aktuell dabei, gegenüber dem Hauptbahnhof das Einkaufszentrum „Sedelhöfe“ zu bauen. Investitionsvolumen: 130 Millionen Euro, Verkaufsfläche 18 000 Quadratmeter. Der Einstieg des Investors wurde von den Entscheidern als echter Scoop gefeiert, aber dann kam vor ziemlich genau einem Jahr heraus, dass die niederländische Rabo-Bank, Mutterunternehmen der MAB, sich aus dem Projektentwicklungsgeschäft zurückzieht. Die Sedelhöfe sollen jetzt lediglich noch fertig gebaut, aber danach nicht mehr, wie ursprünglich geplant, betrieben werden.

Wer von 2016 an Betreiber wird, ob das neue Shoppingquartier in den Besitz eines Immobilienfonds wandert, das sind plötzlich offene Fragen geworden. Der Ulmer OB Ivo Gönner hat aufgrund der Vertragslage mit ihren Öffentlichkeitsklauseln jedenfalls deutliche Hemmungen, sich vor Publikum zu äußern. Der Gemeinderat berät Projektschritte weiterhin nicht öffentlich und muss erkennen, dass er deswegen – zu Recht oder Unrecht – einer beharrlichen Kritikerschar als Abnickerverein gilt.

Mitunter brauchen Volksvertreter auch den Mut Nein zu sagen

Wenn Gemeinderäte sich mit den Händlern und Kaufleuten der globalisierten Finanzwelt einlassen, ist vertiefte Sachkenntnis hilfreich. Wenn findige Geschäftemacher mit der Unwissenheit von Kommunalpolitikern geradezu operieren, wird es gefährlich für den Steuerzahler. Dann brauchen die gewählten Volksvertreter zuweilen die Courage, die auch jedem Börsenneuling anzuraten ist: Im Zweifel Nein zu jedem Geschäft zu sagen, das auch bei genauem Hinsehen nicht zu verstehen ist. Und sich nicht einfach mitreißen zu lassen von Amts- oder Verbandsfürsten, die behaupten, sie wüssten ganz genau, wie es in der modernen Welt zugeht. Lemminge im Gemeinderat braucht kein Wähler.

Man darf ja nicht vergessen: die große Mehrheit aller Städte und Gemeinden im Land hat weder jemals Kanalrohe an die USA verkauft, noch Zinswetten auf den Schweizer Franken abgeschlossen. Sie sind deswegen, so weit das ablesbar ist, trotzdem nicht zu unglücklichen, verlorenen Orten geworden.