Walter Schmid hat über Jahrzehnte die Freiheit genossen, die er mit dem eigenen Fahrzeug hatte. Jetzt hat er seinen Wagen abgegeben. Ausschlaggebend dafür war sein Grundsatz – und eine Zahl.

Ditzingen - Ein weißer VW Käfer, 34 PS. Das war Walter Schmids erstes Auto. In Österreich ist er damit einmal mit Tempo 120 den Berg runter gefahren. „Das war was“, ruft der 97-Jährige aus. Schließlich habe das Auto offiziell doch nur höchstens 100 fahren können.

 

Wie stolz war der junge Mann damals auf den Wagen. Er hatte ihn von seinem Onkel übernommen. 20 Jahre lang war er mit dem Käfer auf Achse. Zuletzt fuhr er dann einen Mercedes. Doch seit wenigen Wochen ist der 97-Jährige nur noch zu Fuß in Schöckingen unterwegs. Sein Auto hat er abgegeben. Bis zu diesem Tag fuhr er unfallfrei, 79 Jahre lang.

Er habe sein Auto abgegeben, nicht seinen Führerschein, betont Schmid. Das ist ihm wichtig. Er selbst habe entschieden, sich fortan nicht mehr hinters Steuer zu setzen. „Wenn Sie merken, Sie haben hier nicht mehr 100 Prozent, sondern nur noch 98“, sagt er und tippt sich an den Kopf, „dann soll man besser darauf verzichten.“ Man müsse seine Grenzen kennen, fügt er an. Und die seien nun erreicht. Ein paar Monate gab er sich für diese Entscheidung gleichwohl Zeit. Mit 96 ist er schließlich noch in den Schwarzwald gefahren.

Eine Entschuldigung wurde verlangt

Autofahren bedeutete ihm Freiheit, Unabhängigkeit und selbstbestimmtes Leben. Er genoss das. „Ich habe mich wohlgefühlt im Auto.“ Das war am Anfang nicht so. „Ich hab’ das Autofahren beim Kommiss gelernt.“ Damals, in der Funkerkaserne in Cannstatt. Der Fahrlehrer – „ein Sauhund“ – war streng: Jedes Mal, wenn der junge Soldat den Motor abwürgte, musste er vor das Auto knien und zu ihm sprechen: „Lieber Motor, verzeih. Ich bitte dich vielmals um Entschuldigung.“ Bald würgte Schmid den Motor nicht mehr ab.

Später war ihm keine Strecke zu weit. Österreich, Italien, Spanien. Natürlich sei Autofahren früher auch gemütlicher gewesen, meint Schmid. Er sagt das nicht des Tempos wegen, sondern weil weniger Verkehr war. „Aber auch da hat es gute und schlechte Fahrer gegeben.“ War jemand unsicher unterwegs oder aggressiv, schaute Schmid, dass er wegkam. Nicht, dass er dieser Zeit hinterher trauert. Er passte sich eben den Veränderungen an. Zumal seine Einstellung zum Fahren dieselbe blieb. „Ich muss auf mich und andere aufpassen.“ Ein Gedanke galt dabei stets auch seiner Frau: „Ich wollte immer wieder sicher zu meinem Schatz zurück.“

Wenn Kinder in der Nähe waren, fuhr er langsamer, wenn ein Ball über die Straße kullerte, machte er eine Vollbremsung: „Wo ein Ball rollt, kommt ein Kind hinterhergelaufen.“ Wie eine solche Situation im Fall eines selbstfahrenden Autos ausgeht, mag sich Schmid nicht ausmalen. Das autonome Fahren sei nämlich „der größte Blödsinn“, ist er überzeugt. Denn „Technik ist nie hundertprozentig“. Schmid lehnt sie nicht ab, aber er ist skeptisch: Nicht alles Machbare sei auch gut.

Vorausschauend, aber zügig war er unterwegs. Den einen oder anderen Strafzettel hat er sich im Lauf der Jahre dadurch eingehandelt. Seine letzte Begegnung mit der Polizei liegt erst wenige Monate zurück. Die Beamten hätten ihn angehalten und ihm unterstellt, er habe sich erst unmittelbar davor, während der Fahrt, angeschnallt. Da waren sie bei Schmid an den Falschen geraten, das wäre für ihn unvorstellbar! Er hatte am Gurt genestelt, weil sich sein Schal darin verfangen hatte. Gefreut habe er sich aber darüber, dass sie die Beamten ihn nicht auf sein Alter angesprochen hätten, erzählt der rüstige Senior. Einen Strafzettel bekam er nicht.

Und doch spielte das Alter zuletzt immer mehr eine Rolle, wenigstens für ihn. Regelmäßig habe er morgens seinen Blutdruck gemessen. Wenn der nicht stimmte, blieb er zuhause. „Wenn ich mich nicht wohlgefühlt habe, bin ich nicht Auto gefahren.“ So hat er es von Beginn an gehandhabt. So hielt er es bis zuletzt.

Platzwechsel ohne Schwierigkeiten

Nun wird Schmid Taxi, Bus oder Bahn nutzen. Ganz fremd ist das dem Mann, der im einst selbstständigen Zell am Neckar geboren wurde, nicht. Als Bundesbahnhauptsekretär leitete er eine Zeit lang den Bahnhof Untertürkheim. Den Weg dorthin legte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Genauso gerne lässt er sich nun von seinem Sohn fahren. Einen anderen Platz im Auto einzunehmen, falle ihm nicht schwer. Er sei kein schlechter Beifahrer, sagt Schmid: „Ich halte mich da raus.“

Nicht raushalten will er sich bei allem, was sein Leben betrifft. Ob Politik oder Wirtschaft: Er verfolgt, was aktuell ist. Er weiß, er muss sich selbst fordern, will er aktiv bleiben. Im Fernsehen schaut er mit großem Vergnügen Quizsendungen, hat große Freude daran, wenn er mehr weiß als die Kandidaten: „Da wachse ich fünf Zentimeter. Da bin ich stolz drauf.“