Margarete Stokowski hat im Stuttgarter Literaturhaus ihre Kolumnen vorgelesen. Die Nachrichten, die die Feministin von Nutzern im Internet erhält, sind zum Teil schockierend brutal.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Das sonst oft so besinnliche Literaturhaus wirkt plötzlich, als sei es von einer Horde habitatfremder Lebewesen okkupiert worden. Der großbürgerlich protzende Treppenaufgang ist verstopft mit angeregt diskutierenden jungen Frauen in Doc-Martens-Schuhen, die auf den Einlass warten. Die Weingläser sind aus, noch bevor die Lesung beginnt (Lieblingsgetränk der Besucher*innen: die Weißweinschorle), und in der ersten Reihe sitzt ein junger Herr mit langem Haar und Dutt, der während der Lesung seine Turnschuhe auszieht und in türkisfarbenen Socken mit rosa Punkten ein bisschen wohltuendes Zehenstretching macht.

 

Vielleicht fängt die Übernahme der Weltherrschaft auch bei den Toiletten an, denkt man dann, wenn man in der Schlange steht bei einer ausverkauften Veranstaltung, deren Besucher zu 98 Prozent weiblich sind, und es eng wird neben dem Paternoster draußen am Gang. So eng, dass sich Schlangen einfach an beiden Klos bilden, und darüber auch nicht einmal mehr gesprochen wird. Da braucht es die Kolumne über die Notwendigkeit von Transgender-Toiletten ja gar nicht mehr, jene Kolumne, die der Gast des Abends im Literaturhaus nun vorliest. Nicht weniger als „Die letzten Tage des Patriarchats“ ruft die in Polen geborene Autorin Margarete Stokowski in ihrem neuen Buch aus. Und das ist etwas, an dem rund zweihundert überwiegend recht junge Besucher an diesem Abend stark interessiert sind.

Die Autorin, die ihren Lesern Orientierung gibt

Die Lesung findet innerhalb der Tagung „Feministische Zirkulationen zwischen Ost und West“ statt, ist geöffnet für Fragen der Hörer, und immer wieder meldet sich dann jemand, der sich bei Stokowski „erst einmal bedanken“ will, also für jene Kolumnen, die nun im Buch abgedruckt sind und sonst bei „Spiegel Online“ laufen.

Die Moderatorin Lena Vöcklinghaus bringt dieses, wie es scheint, hier konsensuale Gefühl auf den Punkt: „Jede Woche freue ich mich darauf, dass du zum aktuellen Geschehen etwas Kluges schreibst, das mich irgendwie wenigstens ein bisschen tröstet, mir Orientierung gibt.“

Stokowski, professionell im Bühnenauftritt, mit nonchalanter, durchaus sehr charmanter Art, braucht eigentlich weniger eine Moderatorin, als vielmehr einen Sidekick wie in einer Late-Night-Show beigestellt. Und während zur Kolumne über die männliche Besessenheit von Peniswitzen und Penisvergleichen noch gelacht wird, ist es gar nicht mehr so lustig, von der anderen Seite des Alltags einer Autorin zu hören, die sich öffentlich für Gleichberechtigung einsetzt.

Brutale Nachrichten von Nutzern im Internet

Schreibt sie über Gewalt gegen Frauen, erhält Stokowski Dutzende Internet-Nachrichten wie diese: „Du Hure, du Schlampe, du gehörst erschossen, kriegst du nicht mehr genug Schwänze oder was ist los?“ Stokowski erzählt, sie bemühe sich um die Strafverfolgung der Verfasser solcher Nachrichten, doch oft genug laufe das ins Leere, selbst wenn die Männer ausfindig gemacht werden könnten. So seien konkrete Androhungen gegenüber der Autorin, sie zu vergewaltigen, lediglich als „Verbreitung pornografischer Schriften“ verfolgt worden.

Spätestens dann fällt auch jene Entwicklung auf, die Margarete Stokowski als Kolumnistin vollzogen hat, seit sie 2011 mit den Texten bei „Spiegel Online“ begonnen hatte. „Damals schrieb ich sowas wie ein Hippie-Tagebuch, etwa: ,Hey, ich hatte Sex . . .‘“ Durch gesellschaftliche Veränderungen und Bewegungen wie Metoo ist die Autorin zunehmend politischer geworden und ihre Anliegen gesellschaftspolitisch relevanter. Stokowski wird von vielen Medien heute zu allem befragt, was sich im Kosmos der Themen Feminismus und Frauen abspielt.

Dabei sind die Analysen und Forderungen der 32-jährigen Autorin weder neu noch besonders originell oder politisch lösungsorientiert. Sie sind jedoch auf den Punkt, kompromisslos und klar, außerdem weit entfernt vom akademischen Diskurs, der dem Feminismus und den Gender Studies ihren Ruf im Mainstream verdorben hatte. Die Zuschauer wollen noch wissen, was sich Stokowski wünschen würde, hätte sie drei Wünsche frei. Und wenn die Autorin dann sagt, zum Beispiel gleiche Bezahlung für alle und eine Aufwertung wichtiger Berufe wie Erzieherin, jubelt der ganze Saal.