Sie gilt als Stimme ihrer Generation: Es gibt kaum junge Journalisten, die zurzeit so einflussreich sind wie Margarete Stokowski. In ihrem ersten Buch „Untenrum frei“ spricht sie über Sex und Feminismus.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Bei Amazon läuft in diesem Herbst die Serie „Good Girls Revolt“: Zeitschriften-Redakteurinnen kämpfen im New York der sechziger Jahre darum, selbst schreiben zu dürfen - und nicht nur ihren männlichen Kollegen zuarbeiten. Meine Güte, was für mittelalterliche Zustände, denkt man beim Schauen alle zwei Minuten, und dann natürlich doch: ist heute alles gut?

 

In ihrem Sachbuch „Untenrum frei“ geht die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski jetzt genau dieser Frage nach. Was wollen Frauen? Wozu noch Feminismus? Immer wieder das gleiche Spiel: Für viele Jüngere heute ist das scheinbar bloß noch ein Kampf, den ihre Mütter und Großmütter geführt haben. Mit dem Feminismus verbinden sie Achselhaare, Alice Schwarzer und BHs verbrennen. Gleichzeitig glauben aber nur zehn Prozent der Frauen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren und 15 Prozent der Männer in dieser Altersgruppe, dass die Gleichstellung heute „voll und ganz realisiert ist“, wie eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ergeben hat.

Beliebt bei jungen Lesern

Wenn Margarete Stokowski also dazu ansetzt, etwas ganz Grundsätzliches über Frauen und Männer und Sex und Gleichberechtigung zu sagen, dann hören sehr viele zu. Stokowski, dreißig Jahre alt, Tochter polnischer Einwanderer, aufgewachsen in Berlin-Neukölln, ist seit einiger Zeit eine große Marke. In sozialen Netzwerken gibt es keine Männer aus dieser Altersgruppe, die vergleichbar oft geliked, geteilt und für spannend befunden werden wie Margarete Stokowski und einige ihrer Mitstreiterinnen: Antonia Baum etwa, von jungen Leserinnen verehrt für ihre Texte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, und von anderen heftig angegangen für ihre teils radikalen persönlichen Geschichten und ihren eigenwilligen Stil. Diese jungen Frauen werden seit einigen Jahren an „allerprominentester Stelle eingeladen, an unser aller Gegenwart mitzuschreiben“, wie es unlängst in der „Welt“ hieß.

Stokowski versucht, ähnlich wie vor zwei Jahren die amerikanische Filmemacherin Lena Dunham (die gleichermaßen als „Stimme ihrer Generation“ gefeiert wird) in ihrem Buch „Not that kind of girl“, persönliche Erfahrungen aus der Jugend neben Theorien und Zitate aus feministischen Schriften zu setzen. Letzteres allerdings wirkt bei Stokowski etwas proseminarhaft eingeflochten, versehen sogar mit etlichen Fußnoten. Und manche Leserin mag sich fragen, weshalb sie sich die Ideen von Simone de Beauvoir oder der britischen Feministin Laurie Penny von Margarete Stokowski erklären lassen soll.

Bedenkt – und hofft – man allerdings, dass vor allem junge und noch jüngere Leserinnen und Leser zu diesem Buch greifen, nicht unbedingt als Gebrauchslektüre, so doch als eine Art persönlicher Einführung in einen Themenbereich, so ergibt der Aufbau Sinn: Warum geht mich das etwas an?

Wogegen Frauen sich wehren müssen

An den persönlichen Stellen ist das Buch der Autorin dann auch gelungen. Das junge Mädchen kommt dem Leser nahe. Wir lernen es kennen als eine, die brillant in der Schule ist, aber im Gegensatz zum Bruder keinen eigenen Computer bekommt, die sich seinen Gameboy ausleihen muss, um „Kirby’s Dreamland“ zu spielen und sonst gerne so wäre wie „Arielle, die Meerjungfrau“. Die zum Schuljahresbeginn das Physikbuch auswendig lernt, sich dann wieder stundenlang im Bad einsperrt, um sich zu schminken und danach wieder alles abzuwischen. Die Frauenzeitschriften und Bücher liest wie „Die perfekte Liebhaberin“, und die eines Nachmittags vom Leiter der Schach-AG im Auto vergewaltigt wird, und noch nicht mal richtig merkt, wie ihr Unrecht geschehen ist, gegen das sie sich hätte wehren sollen.

Sie beginnt, sich zu ritzen und verlässt das Kinderzimmer kaum noch. Erst die Uni bringt schrittweise die Befreiung. Die junge Frau lebt im Studentenwohnheim, schläft mit Männern und Frauen, es geht ihr gut. Bis sie eines Tages auf dem dunklen Heimweg doch wieder belästigt wird. Und beschließt, es dieses Mal nicht auf sich beruhen zu lassen.

Warum dauert es oft so lange bis Frauen merken, was sie wollen, was sie tun können, wogegen sie sich wehren dürfen, sogar sollten?

Daher all der Sex Talk: Margarete Stokowski hat die Theorie, dass Frauen niemals „obenrum“, also geistig und im eigenen Verständnis von sich selbst, frei sein können, wenn sie es „untenrum“ nicht sind – nicht mal wissen, was sie in trauter Intimität mit einem Partner wollen. Und wer Selbstbestimmung will, braucht Selbstbewusstsein. Was will ich, wer bin ich?

Für ihre Seelenentblößung liefert Stokowski die poetologische Erklärung dann auch gleich mit, wenn es gegen Ende heißt: „Sobald wir erzählen, wechseln wir den Status: Wir werden vom Objekt zum Subjekt. Wir erlangen ein Stück Kontrolle zurück.“ Welcher Hass Frauen, die sich öffentlich äußern, dann manchmal entgegen schlägt, ist gemeinhin bekannt, gerade in Zeiten des Internets.

Seit den Sechzigern hat sich aber wenigstens eines verändert: eine Frau kann heute eine einflussreiche Spiegel-Kolumnistin sein, und zwar schon im Alter von 30 Jahren. Sie kann, auch über die sozialen Netzwerke, Tausende Menschen erreichen, um Dinge anzusprechen, von denen alle betroffen sind – auch die Männer.

Margarete Stokowski: Untenrum Frei. Rowohlt, Reinbek. 256 Seiten, 19,95 Euro.