Marijn Rademaker, ehemaliger Solist des Stuttgarter Balletts, lebt seit zwei Jahren in Amsterdam. Der Stimmung, die der Populist Geert Wilders schürt, stellt Rademakers neue Kompanie Aktionen entgegen wie das Projekt „Dance for Peace“ mit dem niederländischen Nationalballett und einem syrischen Tänzer.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Als Kind hatte der holländische Tänzer Marijn Rademaker geglaubt, Deutschland sei ein Land voller qualmender Fabriken unter stets grauem Himmel. Beim ersten Urlaub in der Eifel entdeckte er dann, dass das alles gar nicht stimmt. 15 Jahre lang hat der junge Mann mit dem auffallend hellen Haarschopf später beim Stuttgarter Ballett getanzt und ist hier zum Publikumsliebling avanciert. Über Vorurteile, deutsch-holländische und was die Besetzung von Muskelrollen mit einem blonden Ballettprinzen betraf, hatten wir mit Rademaker kurz vor seinem Debüt als Petrucchio in „Der Widerspenstigen Zähmung“ gesprochen. Das war im Dezember 2013. Ein Jahr später zog es Rademaker zurück in seine Heimat, wo er seither Mitglied des Het Nationale Ballet in Amsterdam ist.

 

Am 15. März sind in den Niederlanden Parlamentswahlen. Und die Umfrageergebnisse für den Rechtspopulisten Geert Wilders und seine Partei der Freiheit sind so alarmierend hoch, dass es Zeit ist, zum Telefon zu greifen, um noch einmal mit Marijn Rademaker über Klischees zu sprechen. Denn eigentlich stellen sich die Deutschen die Holländer besonders tolerant, liberal, freundlich und humorvoll vor. Wie Rademaker selbst lauter Sympathieträger aus einem entspannten Land, in dem man Haschisch legal in Coffeeshops konsumiert.

Haben die Niederlande ein neues, hässliches Gesicht?

Stimmt das nicht mehr? Haben die Niederlande ein neues, hässliches Gesicht? Eine gar nicht so tolerante Seite, die keine Lust mehr hat, nett zu sein, die auf Europa, auf Menschen aus Nordafrika, auf Moslems, auf Kriegsflüchtlinge schimpft, die polarisieren will statt integrieren? Marijn Rademaker kann nur ahnen, was mit einem Teil seiner Landsleute passiert ist: „Nach den Anschlägen vom 11. September hat sich die ganze Welt verändert. Es ist ein schleichender Prozess: Es wurde Stimmung gegen Muslime gemacht, die jetzt in offenen Hass umschlägt. Politiker wie Geert Wilders benutzen diesen Hass, um Stimmen zu fangen.“

Dass Wilders Kultur als „linkes Hobby“ bezeichnet und ihr mit weiteren Kürzungen droht, obwohl sie bereits unter der aktuellen Regierung ordentlich Federn lassen musste, empfinden Kulturschaffende wie Marijn Rademaker als bedrohliches Szenario. Trotzdem sei der Rechtspopulist kein Thema im multinationalen, 75-köpfigen Ensemble des niederländischen Nationalballetts, berichtet Rademaker. „Unter den Tänzern ist eher Donald Trump Gesprächsstoff.“ Wenn überhaupt über Politik geredet wird. Denn die Karriere von Tänzern ist so kurz, dass der Fokus vor allem auf der eigenen Kunst, weniger auf ihrem politischen Umfeld liegt.

Das Amsterdamer Ballett sammelt Geld für einen syrischen Tänzer

Umso bemerkenswerter findet Marijn Rademaker die Aktion, die der Amsterdamer Ballettdirektor Ted Brandsen für den syrischen Tänzer Ahmad Joudeh gestartet hat. Unter dem Motto „Dance for Peace“ wurde ein Spendenfonds eingerichtet, über den private Geldgeber die Ausreise des Tanzbegeisterten und seine Ausbildung in Amsterdam finanzierten. „Das war eine Geschichte, die ganz Holland verfolgt hat“, erzählt Marijn Rademaker. „So eine Aktion wäre unmöglich, wenn ein Mann wie Geert Wilders die Macht bekäme.“ Ahmad Joudeh hatte, wie der Film „Dance or Die“ dokumentiert, in Damaskus unter erschwerten Umständen seine Leidenschaft für den Tanz gelebt und an Kinder weitergegeben. Jetzt wartet er in Amsterdam darauf, dass er irgendwann in ein friedliches Syrien zurückkehren kann - und erobert in der Zwischenzeit als Tänzer die Bühne.

Auch Marijn Rademaker ist im Wartestand. Ein Knorpelschaden am Knie zwang den Tänzer 15 Monate lang zum Pausieren. „Ich habe gerade wieder mit dem Training begonnen und eine harte Zeit hinter mir. Da ist es schön, zu Hause in Amsterdam und bei dieser Kompanie zu sein“, sagt Rademaker, der hofft, in der laufenden Spielzeit endlich wieder auf die Bühne zurückzukehren. Überbrückt hat er die Verletzungspause als Ballettmeister, auch für die Juniorkompanie gab er Training. Als Tänzer hatte ihn das holländische Publikum in Neumeiers „Kameliendame“, in Balanchines „Jewels“ und in einem Van-Manen-Programm erleben können, bevor ihm sein Knie einen Strich durch die Karriereplanung machte. So war er an „Onegin“ in Amsterdam nicht in der Hauptrolle beteiligt, die er im Oktober 2014 erstmals bei einem Gastspiel des Stuttgarter Balletts in Bangkok getanzt hatte, sondern als Ballettmeister bei der Einstudierung.

Rademaker glaubt an die vermittelnde Kraft der Kunst

Dass einer wie Wilders mit seinen rassistischen Parolen nicht Unruhe stiftet in einer bunten Truppe, wie sie jede Ballettkompanie in der Welt ist, verwundert Marijn Rademaker nicht. „Wenn ich noch in Stuttgart arbeiten würde, würde ich mich auch nicht von den Parolen einer rechtspopulistischen Partei angesprochen fühlen; die sind eher gegen Muslime, nicht allgemein gegen Ausländer gemünzt“, sagt der Tänzer. „Ich finde es trotzdem schade, dass sich nicht allmählich der Gedanke durchsetzt, dass wir alle, egal ob in Europa oder anderswo, in einer Welt leben.“ Der eigentliche Skandal liegt für Rademaker in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. „Die acht reichsten Leute der Welt, habe ich vor kurzem gelesen, könnten den ganzen Globus mit ihrem Vermögen versorgen.“

Marijn Rademaker glaubt an die vermittelnde Kraft des Tanzes. „Gerade die Kunst kann helfen, Vorurteile abzubauen“, sagt er und nennt eine internationale Konferenz als Beispiel, die im Februar Ballettdirektoren aus der ganzen Welt in Amsterdam zusammengebracht hat. „Tamas Detrich war auch hier, als über das Erbe und die Diversität des Balletts diskutiert wurde. Es ging darum, wie Ballett das Spiegelbild einer bunten, offenen Gesellschaft sein kann“, sagt Marijn Rademaker. Eine Fragstellung, in der sich die Liberalität und Toleranz eines Landes spiegeln, in dem ein Geert Wilders hoffentlich Episode bleibt.