Marine Le Pen gegen Emmanuel Macron: das ist mehr als der Streit um die politische Richtung. Es ist ein Kampf der Kulturen. Er zeigt, wie gespalten das Land ist.

Paris - Das Präsidentschaftsrennen, dieser  nun schon Monate währende Marathon, hat ihr offensichtlich nichts anhaben können. Von Verschleißerscheinungen keine Spur. Einem Jungbrunnen scheint sie entstiegen. Fast möchte man bezweifeln, dass die von den Wahlplakaten herabschauende Madame überhaupt Marine Le Pen ist.  Die harten Züge, die der Rechtspopulistin gut zu Gesicht stehen, wenn sie ihren Zorn auf die Mächtigen, die Eliten und das System artikuliert – sie fehlen. Ein mädchenhaftes, weichgezeichnetes Antlitz ziert die Plakate.

 

Was im politischen Steckbrief der Präsidentschaftskandidatin als unveränderliche Kennzeichen aufgeführt war, fehlt ebenfalls. Das beginnt beim Familiennamen. Marine steht da nur noch. Le Pen fehlt. Die Partei, deren Vorsitz sie 2011 übernommen hat? Ebenfalls Fehlanzeige. Nicht einmal die Initialen FN sind auf Plakaten zu entdecken. Vom Logo des Front National, der züngelnden Flamme, ganz zu schweigen. „Ihr könnt mich ruhig wählen“, scheint sie dem Betrachter bedeuten zu wollen, „ich bin nicht die rechtsradikale Scharfmacherin, als die ich immer wieder dargestellt werde“. Und eines steht fest: Nur wenn sie außerhalb des eigenen Lagers überzeugt, kann sie sich am Sonntag in der Stichwahl gegen Emmanuel Macron durchsetzen, den sozialliberalen Rivalen. Passanten, die in Paris die Plakatwände entlang schreiten, verlangsamen den Schritt, halten inne, versuchen Klarheit zu gewinnen, ziehen nachdenklich, wenn nicht gar kopfschüttelnd weiter.

Keine Debatte – ein „Gemetzel“

Am Mittwoch hatten mehr als 16 Millionen Franzosen im Fernsehen schließlich eine ganz andere Marine Le Pen erlebt. Zum TV-Duell gegen Macron war sie da angetreten. Das Ergebnis war ein Schlagabtausch zweier Präsidentschaftskandidaten, wie ihn die Franzosen in dieser Brutalität noch nie erlebt haben. „Das war keine Debatte, das war ein Gemetzel“, sollte der „Figaro“ tags drauf feststellen.

Le Pen schmäht den am anderen Ende des Tisches sitzenden Sozialliberalen als „Kandidaten einer wilden Globalisierung“, eines „Krieges jeder gegen jeden“, als „kalten Geschäftsbanker“, „verwöhntes Kind der Eliten“. Ähnlich wie im US-Wahlkampf einst Donald Trump gegen Hillary Clinton zu Felde zog, mischt Le Pen Wahres, Halbwahres und offensichtliche Lügen zu einem provokativen Cocktail. Das Vorgehen verheißt doppelten Lohn: Zum einen mag es den Widersacher aus der Reserve locken, verunsichern. Zum anderen verhindert es eine sachliche Debatte, bei der sie nur schlecht aussehen kann.

Macron will die Öffnung – die Franzosen eher nicht

Macron hat keinen leichten Stand. Während die Schläge auf ihn einprasseln, muss er versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Kontert er mit rhetorischer Eleganz, mag die Widersacherin ihn einen überheblichen, volksfernen  Elitehochschulabsolventen nennen.  Bleibt er nüchtern und sachlich, wird sie versuchen, ihn als volksfernen Technokraten auszuweisen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Macron, der Sozialliberale, propagiert, was die Mehrheit der Franzosen bisher noch nie gewollt hat und vermutlich noch immer nicht will: sich der Welt zu öffnen wie sie nun einmal ist, sich der Globalisierung zu stellen, der internationalen Konkurrenz, der Einwanderung und gemeinsam mit den europäischen Partnern das Beste aus all dem zu machen.

Laut den Meinunsgforschern zahlt sich der von Le Pen vorgegebene Konfrontationskurs nicht aus. Im TV-Duell habe Macron gepunktet, heißt es in Blitzumfragen. Für die Stichwahl sagen die Demoskopen Macron 60 und Le Pen 40 Prozent voraus. Die Fernsehduelle Donald Trump – Hillary Clinton mahnen jedoch zur Vorsicht. Von den Meinungsforschern als Verlierer ausgerufen, triumphierte Trump am Wahltag gleichwohl. Aufholen kann Le Pen freilich nur, wenn sie jenseits des eigenen Lagers überzeugt, wenn der Wähler ihr abnimmt, was die Wahlplakate, aber auch Broschüren und Flugblätter signalisieren sollen: dass sie das Zeug zur alle Franzosen beschützenden Landesmutter hat.

Marine Le Pen hat den Rechtspopulismus salonfähig gemacht

Einiges hat sie auf diesem Weg schon erreicht. Le Pen hat den Front National salonfähig gemacht. Die einst von Konservativen und Sozialisten gegen den FN errichteten Dämme sind gebrochen. Wo Linke und Rechtsbürgerliche die Reihen schlossen, als Le Pens Vater Jean-Marie im April 2002 in die Stichwahl vorgedrungen war, leisten die Parteien heute allenfalls halbherzig Widerstand. Wo die Wähler den Rechtsbürgerlichen Jacques Chirac damals mit überwältigenden 82 Prozent zum Präsidenten kürten, darf Macron heute nur 60 Prozent erwarten. Wo vor 15 Jahren ein Aufschrei durch das Land ging, die Franzosen zu Hunderttausenden in den Straßen gegen Rechts protestierten, herrscht heute bedrückende Stille.

Aber noch immer schrecken eben viele Franzosen davor zurück, einer Rechtspopulistin das Land anzuvertrauen. Und so kommt Le Pen auf Plakaten und in Broschüren nicht mehr als Frontistin daher, sondern als Mädchen, als Mutter, als Frau, als Verführerin mit leicht nach oben gerutschtem Rock. Den Vorsitz des Front National hat sie einstweilen niedergelegt. Selbst der Kern des Präsidentschaftsprogramms wurde weichgezeichnet. Hatte sie im März noch klipp und klar erklärt, im Fall eines Wahlsiegs werde Frankreich „binnen sechs Monaten aus dem Euro aussteigen und zum Franc zurückkehren“, will sie seit dem vergangenen Wochenende den Unternehmen die Möglichkeit erhalten, mit dem Euro zu bezahlen – die Einheitswährung soll eine der früheren Verrechnungseinheit Ecu ähnliche Referenz bleiben.

Zwei Welten im Wahlkampf – eine düster, eine fröhlich

Einig sind sich Le Pen und Macron allein darin, dass sie nichts verbindet, dass sie wie Feuer und Wasser sind – zwei Welten, die einander ausschließen. Bei den Abschlusskundgebungen der Kandidaten sind diese Welten noch einmal live zu erleben. Wer Macrons Einladung ins Pariser Event-Center gefolgt ist, findet sich auf einer Party wieder. Hostessen tragen Schildchen. „Helper“, steht darauf. Hunderte von europäischen Sternenbannern schmücken den Saal. Multi-Kulti ist angesagt. Alle nur denkbaren Hautfarben sind vertreten. Gefolgsleute des Kandidaten tragen himmelblaue, rosa oder hellgelbe T- oder Sweatshirts. „Frühlingstöne sind das“, sagt eine Hostess. Die Musik kündet bereits vom Sommer. Von den französischen Antillen stammt sie. Die Rhythmen fahren in die Glieder. Immer mehr Leute klatschen mit, wiegen sich in den Hüften, lachen. Und so oft Macron später auch vor der „keineswegs gebannten Gefahr“ warnt, dass Madame Le Pen am Sonntag an die Macht gelangen könnte, der Fröhlichkeit tut dies nicht wirklich Abbruch. Sie ist ja auch nicht aufgesetzt. Der Großteil der sich im Pariser Event-Center Drängenden steht vermutlich auf der Sonnenseite des Lebens oder traut sich zumindest zu, aus eigener Kraft dorthin gelangen zu können.

Le Pen beschwört die Apokalypse

Ganz anders geht es bei Le Pen zu. Im Halbdunkel einer kahlen Messehalle der Pariser Vorstadt Villepinte kommt sie mit ihren Anhängern zusammen. Zum Tanzen ist hier niemandem zumute. Die Apokalypse scheint nah. Von „Armut, Angst und Leid der Franzosen“ erzählt die Kandidatin, von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die „Frankreich erniedrigen, klein machen, unterwerfen“ wolle. Sollte Emmanuel Macron Präsident werden, drohe den Franzosen gar die Vernichtung. In Anspielung an die vom Rivalen gegründete Bewegung „En Marche!“ (Vorwärts), unterstellt sie ihm, nach dem Motto zu verfahren: „Vorwärts – oder verrecke!“

Mag sein, dass die in der ersten Wahlrunde richtig liegenden Meinungsforscher auch in der zweiten Recht behalten werden, dass Macron am Sonntag das Rennen macht. Wenn es so kommt, wird er sich im Elysée-Palast vermutlich bald an den Abend des TV-Duells erinnern. Das heißt, die Franzosen werden ihn daran erinnern. Jene 34 Prozent der französischen Gesellschaft werden sich zurückmelden, die der Ansicht sind, dass Le Pen in der TV-Debatte die bessere Figur abgegeben hat.