Schon lange bereitet Markus Söder seinen Aufstieg an die Spitze der CSU und ins bayerische Ministerpräsidentenamt vor. Dabei kritisieren manche seine Methoden als perfide.

München - Auftritt in Bad Tölz. Nassgraue Novembertrübnis, knöcheltief der Morast. Zu ihrer traditionellen Leonhardifahrt sind die Bauern der Umgebung trotzdem aufmarschiert. Sie pilgern zum Schutzpatron des Viehs: in Tracht und Zylinder, auf fromm-bunt bemalten Pferdewagen, mit 300 Rössern; 8000 Zuschauer flankieren die Straßen hinauf zum Kalvarienberg. Und mittendrin: Er. Schwarzer Hut, schwarzer Loden, den Kragen hochgeschlagen. Der bayerische Heimatminister. Zuständigkeitshalber, denkt man sich; das passt. Der Mann verliert tatsächlich warme Worte über Tradition und Brauchtum und Glaube, die das „Fundament“ Bayerns seien: „Das macht uns stark, das macht uns attraktiv.“ Aber Markus Söder wäre nicht Markus Söder, wenn er es dabei beließe. So, dass es alle hören, hält er fest, eigentlich sei er als Vertreter des Ministerpräsidenten angereist. Und nächstes Jahr komme er wieder: „Das muss dann gar nicht als Vertretung sein.“

 

Söder will es werden, unbedingt. Längst weiß das jeder. Und doch lässt Horst Seehofers Hauptrivale keine Gelegenheit aus, sich in Position zu bringen. Ob er übers Land fährt wie Sankt Nikolaus persönlich und sich Freunde macht bis ins letzte Dorf, indem er millionenschwere Förderbescheide für Breitbandausbau oder andere Regionalentwicklung verteilt; ob er launig vor der CSU-Basis redet – mancher draußen sagt, es reiche eine SMS, und „der Markus“ komme –, ob er twittert wie kein anderer Kabinettskollege oder in Fernseh-Talkshows geht, häufiger als jeder andere: Markus Söder ist immer überall.

Selbst Wohlwollende aus der CSU-Spitze sind sauer auf Söder

Es sei denn, einer bremst ihn aus. Beim Politischen Aschermittwoch in Passau ließ Horst Seehofer die ganze zweite Reihe der CSU schaulaufen. Präsentieren durften sich Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, Manfred Weber aus dem Europaparlament, CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und der zum Chefsheriff stilisierte Joachim Herrmann. Nur Finanzminister Markus Söder durfte nicht auf die Bühne. Das sind eben die Spielchen. Und wenn der eine spielen darf, warum nicht der andere?

Jetzt aber scheint Söder überreizt zu haben. Selbst Wohlwollende aus der CSU-Spitze – auch solche, die ihn für „einen unserer Gescheitesten und Fähigsten“ halten – sind sauer über das, was letztes Wochenende bei der Landesversammlung der Jungen Union in Nürnberg passiert ist. „Perfide“ sei das gewesen, sagen manche: „Selbst wenn der Markus behauptet, er habe mit solchen Machenschaften nichts zu tun – es glaubt ihm niemand mehr.“

Auf Hunderten von Plakaten wurde Söder bereits als neuer Ministerpräsident ausgerufen

Passiert ist, dass die CSU-Jugend mit etwa einer Zweidrittelmehrheit den Rückzug Horst Seehofers und einen „glaubwürdigen personellen Neuanfang“ verlangt hat. Bei der abendlichen Party rühmte Söder die jungen Leute für ihren „Mut“. Tags drauf, zu Söders Gastrede, waren da, wie aus dem Nichts, Hunderte von Plakaten, die bereits den neuen Ministerpräsidenten ausriefen: „Söder MP 2018“, stand da säuberlich gedruckt drauf. Und der solchermaßen auf den Schild Gehobene, der posierte auch noch davor. „So was gehört sich nicht“, sagen selbst vermittelnde Geister in der Partei: „Dermaßen Druck auf den Amtsinhaber ausüben . . .“

Genau betrachtet gehört „so was“ zur Tradition der CSU wie die Rösser zur Leonhardifahrt. Alfons Goppel konnte 1978 sein Amt als Ministerpräsident nur geordnet zu Ende führen, weil er den Drängler Franz Josef Strauß vorzeitig zum Nachfolgekandidaten bestellte. Edmund Stoiber als Innenminister drängte 1993 Max Streibl („Amigo-Affäre“) aus der Staatskanzlei und fünf Jahre später – mit gezielten Nadelstichen – Theo Waigel aus dem Parteivorsitz. 2007 wiederum putschten Günther Beckstein und Erwin Huber gegen genau diesen Edmund Stoiber.

Seehofer und Söder – beide spielen ihre Spielchen

Ein langes Amtsleben war den beiden nicht beschert, denn als sie im „Katastrophenjahr“ 2008 die Landtagswahl verloren, da hatte von Berlin aus schon Horst Seehofer seine ganz eigenen Intrigen gesponnen. Ob Markus Söder, der mit Stoibers Sturz sein Amt als CSU-Generalsekretär verloren hatte, an Seehofers Netz mitgesponnen hat oder ob genau er es war, der die außereheliche Liaison Seehofers an die „Bild“-Zeitung durchstach, um Seehofer in Bayern moralisch unmöglich zu machen, das ist umstritten. Sicher ist nur: Kurz darauf kam auch eine uneheliche Tochter Söders – „vorehelich“ sagt er selbst – zur Schlagzeilenwelt. Das sind eben die Spielchen.

Seehofer jedenfalls sieht in Söder schon ganz lange den Rivalen. Die Worte des Parteichefs, die immer wieder zitiert werden – Söder sei „von pathologischem Ehrgeiz zerfressen“, habe „charakterliche Schwächen“ und leiste sich „zu viele Schmutzeleien“ –, sie stammen aus einer Weihnachtsfeier im Jahr 2012. Und doch: Wenige Monate später, nach der Landtagswahl, als deren Zugpferd er eigens die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner nach Bayern zurückholte, stattete Seehofer genau diesen Söder mit einem übergroßen, reichen Ministerium aus – und Ilse Aigner in ihrem zusammengestrichenen Wirtschaftsressort musste ohnmächtig zusehen. Aus dem Gerangel um Seehofers Nachfolge ist sie heute faktisch draußen. Eine Frau als CSU-Chefin? „Wäre sowieso nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen“, meint einer aus der Parteijugend. Es hört sich eher gleichgültig an als bedauernd.

Söder hat den Ausgang der Bundestagswahl schon lange vorausgeahnt

Wenn Aigner heute sagt, es brauche „einen, der die Partei zusammenhält“, dann werten Münchner Medien schon eine derart offenkundige Banalität als Kampfansage an Söder. Denn der tut genau das nicht. Er lebt von der Polarisierung – ohne dass er, wie die meisten Beobachter konstatieren, über seine eigene Person hinaus ein Programm hätte. Vielleicht hat er jetzt ja eines gefunden, im „Anpacken, Annehmen und Stellen der AfD“, wie er es vergangenen Sonntag bei der Jungen Union beschrieb.

Man kann Söder zugute halten, dass er in seinen Interviews der letzten zwei Jahre den Ausgang der Bundestagswahl ziemlich präzise vorausgeahnt hat, selbst zu Zeiten, in denen CDU und CSU auf 40 Prozent zuzusteuern schienen. Umstritten ist in der CSU nur, ob Söder sich bei all dem Eifer, in der Fixierung auf die Ausländerthematik und in seiner Wortwahl nicht selbst zu einer Art AfD-Mann gemacht hat – selbst wenn er sagt, die CSU müsse „nicht rechter werden, sondern ehrlicherweise glaubwürdiger“. Seehofer, der – „in meiner CSU“ – Wert auf kultivierte Sprache legt, hat immer wieder Sprüche Söders kassiert.

Warum drängelt der überhaupt so? Mit seinen 50 Jahren

Trotzdem ist der Rivale bei seiner Redeweise geblieben, etwa wenn er sagt: „Ohne die Flüchtlingskrise könnten wir Hunderttausende von Lehrern oder Polizisten einstellen oder neue Kita-Plätze schaffen.“ Oder wenn er unter Beifall der Jungen Union hetzerisch kundtut: „Wenn es Leute gibt, die sagen, der Islam sei ein historischer Teil von Bayern, dann ist mir das bisher nicht aufgefallen. Darum, liebe Freunde, muss klar sein, wir in Bayern sind nicht bereit, christliche Feiertage abzuschaffen und dafür muslimische einzuführen.“

Der Söder mit seinen 50 Jahren, so fragen alte, abgeklärte CSU-Spitzenleute: Warum drängelt der überhaupt so? Der hat das Leben doch noch vor sich. Gleichzeitig zucken sie mit den Schultern: An diesem Mann führe wohl kein Weg vorbei. Wer solle denn Chef in Bayern und Partei sein – neben einem Markus Söder?