Ist das stürmische Wachstum von Podcasts vorbei? Stephan Ferdinand, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart, widerspricht den Unkenrufen. Der Boom, prophezeit er beim Netzwerk Stuggi nexxt, werde sogar noch stärker.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Ob auf der Fahrt zur Arbeit, im Fitnessstudio und vor dem Schlafgehen: Viele Menschen lieben Audioformate, sie haben die Welt auf dem Ohr. „Kaum etwas anderes lässt man so nah an sich ran“, erklärt der frühere Radioreporter Stephan Ferdinand, der seit über 20 Jahren Journalistik an der Hochschule der Medien lehrt. Bei einem Talk des Stuttgarter Netzwerks Stuggi nexxt, das Führungskräfte und Medienleute der Stadt vereint, die jung sind oder zumindest als „jung geblieben“ durchgehen, prophezeit er in der Bar Kaleya gleich gegenüber des SWR-Funkhauses an der Neckarstraße qualitätsvollen Podcasts eine vielversprechende Zukunft – gerade denen, die wesentlich länger sind als der Durchschnitt von 18 Minuten.

 

43 Prozent der Deutschen hören Podcats

Als Spotify Anfang des Jahres Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen hat, hieß es, der Boom der Podcasts, die in Deutschland in der Beliebtheit seit 2016 nach oben geschossen sind, sei nun vorbei. Daran glaubt Professor Ferdinand nicht. Genau das Gegenteil sagt er voraus: nämlich eine weiter ansteigende Zunahme der digitalen Nutzung des gesprochenen Worts in immer weiteren Nischen von „special interests“.

Der englische Begriff Podcast setzt sich aus der Abkürzung „pod“ (playable on demand, abspielbar auf Abruf) und aus „cast“ von Broadcast (Rundfunksendung) zusammen. Stephan Ferdinand verweist auf eine Befragung, wonach im vergangenen Jahr 43 Prozent der Deutschen einen Podcast hörten, 2016 waren es 14 Prozent. Während die Zahlen, wie er glaubt, weiter steigen, sind die Erlöse mit Audioformaten weiterhin gering. „Die große Mehrheit der Podcast-Anbieter verdient nichts daran,“ sagt er, „sie haben andere Gründe, ihre Aufnahmen ins Netz zu stellen.“ Gründe dafür seien eine Botschaft, die ihnen wichtig erscheint, oder der Versuch, das Image für eine Organisation oder für eine Firma zu verbessern. Podcasts dienten oft der Werbung.

Lineare Programme erreichen junge Menschen kaum noch. Dies setzt ARD-Anstalten und private Radio- und Fernsehstationen unter Druck. Die Nutzer interessieren sich oftmals für ganz individuelle Themen, die ein großer Sender kaum vertiefen kann, weil die Bandbreite zu groß ist. Genau dies ist die Chance der Podcast-Macher, denen Stephan Ferdinand Mut macht, es zu versuchen, wenn sie mit Leidenschaft Content ins Netz stellen. Der Direktor des Instituts für Moderation an der Hochschule der Medien Stuttgart hat einen eigenen Podcast mit dem Titel „Sprich:Stuttgart“ entwickelt, bei dem eine Folge zwei Stunden dauert, für die er mit Studierenden interessante Menschen der Stadt befragt. Damit verdient er nichts, doch als Stuttgart-Fan will er sich mit der Vielfalt der Stadt auseinandersetzen und diese fördern.

Qualitätsjournalismus wird noch wichtiger

Bei der Moderation, sagt Ferdinand im Talk mit dem jungen Journalisten Tobias Faißt, der bei ihm gelernt hat, komme es darauf an, authentisch und echt zu bleiben und nicht die Rolle eines Moderators spielen zu wollen. Podcast ist ein Solo-Medium, man hört in der Regel allein zu. Ein Podcast kommt dem kommunikative Grundbedürfnis entgegen. Schon Kinder lieben es, die Stimme der Eltern zum Einschlafen zu hören. „Bei den Hörern der Podcasts entstehen Bilder der Sprechenden im Kopf, auch wenn sie die nicht sehen“, sagt er in der Bar Kaleya. Audioformate fördern Fantasie. Besonders erfolgreich sind Audioformate, beobachtet Ferdinand, wenn sie mit Herz gemacht werden und überraschend sind.

Ferdinand, ein Leser von Print-Zeitungen, ist davon überzeugt, dass die Arbeit von Qualitätsjournalismus noch wichtiger wird. Da nun jede und jeder eigene Beiträge ins Netz stellen kann, komme es auf Überprüfung, Einordnung und Recherche an. Der Professor der Medienhochschule bedankt sich bei Redaktionen, die für ihn „die Welt sortieren“.

Geleitet wird das Netzwerk Stuggi nexxt von Tahis Gonzalez und Michael Bofinger. Unter den Gästen waren Ex-Fußballprofi Timo Hildebrand, Stelp-Gründer Serkan Eren, der Jazzopen-Fotograf Reiner Pfisterer, der Werbefotograf Oliver Lozano, Kinderhospiz-Botschafterin Christina Semrau, Modedesignerin Suzana Popa, Kickers-Geschäftsführer Matthias Becher, Ex-Bundesliga-Handballer Jannik Hausmann, Olympia-Schwimmerin Vanessa Grimmberg, Alexander Schell, der Geschäftsführer des Stadtjugendrings, Moderatorin Kathrin Jakubik, Alexandra Donath, Chefin des veganen Stands vhy! in der Markthalle, Moderator Aaron Marian Glock u.a.