Jan Böhmermann beendet seine Sendepause. Aber er kehrt nicht mit eigenen Gags zurück, sondern mit Zuschauerwitzen. Das ist eine Form der Verunklarung, die Konjunktur hat. Was ist noch ernst und was Jux, was Fälschung und was Satire? In Stuttgarts Stadtbibliothek soll ein Vortrag mehr Klarheit schaffen.

Stuttgart - Der gütige Großvater kann das Gute vom Schlechten unterscheiden. Seinem dankbaren Enkel schenkt er Karamelbonbons, die nicht süß sind, sondern das „Echte“. Zwei Dinge bringt er uns und dem Knirps so bei. Erstens, dass es das Echte wirklich gibt. Zweitens, dass dieses Echte glücklicher macht als das Falsche. Dummerweise ist diese Lektion ein Werbespot, gehört also zum Reich des Falschen.

 

Wir trauen keinem Karamelbonbon-Opa mehr. An Fake allerorten glauben wir sofort, das Echte mögen wir uns kaum noch vorstellen. Weil wir nicht wissen, wie wir mit unserem erfahrungsgespeisten Zynismus und unserer heimlichen Sehnsucht nach dem Echten umgehen sollen, besetzen wir den Begriff Fake positiv. Die erkannte Fälschung suggeriert uns permanent, wir seien schlau genug für diese Welt.

Böhmermann als Jedermann

Am Donnerstagabend um 22.45 Uhr geht der Satiriker Jan Böhmermann auf ZDF-neo wieder auf Sendung. Er beendet die selbst auferlegte Pause nach der Ausweitung seiner Erdogan-Schmähung zur Staatsaffäre. Und doch kehrt er nicht wirklich zurück an den alten Platz. Böhmermann wird kein eigenes Programm bieten, er wird präsentieren, was ihm Zuschauer an Gag-Ideen geschickt haben. Er will moralisch weniger haftbar sein fürs Gebotene, verfällt in die Pose des „Ihr wolltet das doch!“ Wer dem Projekt freundlich gesonnen ist, wird es amüsiert einen Fake nennen: Böhmermann als Jedermann.

Man kann die Aktion aber auch traurig oder gruslig finden. Die Satire, der eine echte Reaktion folgt, zieht sich tiefer zurück ins Verspielte, in den Fake. Kann die deutsche Satirewelt mit ihrem Ernstgenommenwerden gar nicht mehr umgehen?

Große Versuchungen

Eine andere Debatte der letzten Monate vermutete das Gegenteil: dass die Satire gefährlich ernst genommen werden wolle, als Journalismus ohne Maulkorb nämlich. Zu viele Menschen, waren Bedenken zu hören, nähmen Formate wie die Heute-Show des ZDF als glaubwürdigste Informationsquelle in einem Meer der Desinformation an.

Die Versuchung ist fraglos groß, denn die frisierte Nachricht erfüllt ein tiefes Bedürfnis des Empfängers. Er will die Politik so sehen dürfen, wie er sie schon lange deutet. Aber wer die Witze der Heute-Show erlaubtermaßen als Journalismus der zupackenden Art genießt, muss sich doch auch eingestehen, dass sein Sarkasmus verwandt ist mit dem „Lügenpresse“-Grölen der Frustrierten und Wahnwichtel.

Voreingenommene Journalisten

Lieferanten und Abnehmer von Fälschungen stehen oft in einem komplexen Komplizen-Verhältnis. Dieser Bund hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition, für die man Beispiele zuhauf in Martin Dolls Studie „Fälschung und Fake: Zur diskurskritischen Dimension des Täuschens“ (Kadmos Verlag) findet. An diesem Mittwoch um 20.30 Uhr hält Doll in der Stadtbibliothek einen Vortrag zum Thema, und er meint es ernst mit allem, was zwischen Witzelei und Komplott liegt.

„Ein Dokument beweist nichts, mit einem Dokument wird etwas bewiesen“, mit solchen Sätzen macht Doll klar, dass er auch die Arbeit von Journalisten und Historikern immer als etwas sieht, in dem Ideologie, Strategie und Fantasie mitmischen. Da wird ihm niemand widersprechen, allenfalls einwenden, der gute Journalismus versuche, sich eigener Voreingenommenheiten ständig bewusst zu werden und sie zu korrigieren.

Erdogan und Trickfiguren

Doll hat Fälle untersucht, in denen Journalisten arglistig gefälscht haben. Aber auch Journalisten treiben manchmal nur Scherze, führen etwa Interviews mit Trickfilmfiguren. Sie vertrauen darauf, dass es noch einen Konsens gibt, was erkennbar Jux ist und was Fakt. Aber die Grauzone des Unentscheidbaren ist riesig und wächst täglich. Wer etwa hätte vor kurzem für möglich gehalten, dass Erdogan gegen Böhmermann vor deutschen Gerichten klagen würde? Hätte man das nicht als Wahnwitz-Meldung aus der Heute-Show abgebucht?