Nach dem Vorbild des Zitteraals wollen Forscher eine Energiequelle für Implantate schaffen. Doch der Weg bis zur praktischen Anwendung ist noch weit.

Stuttgart - M it hochspezialisierten und hintereinandergeschalteten Zellen feuern Zitteraale kurze elektrische Schläge mit einer Spannung von satten 600 Volt und immerhin hundert Watt Leistung durchs Wasser. Das reicht, um die Muskeln einer Unterwasserbeute in der Nähe zu lähmen, die der erfolgreiche Elektrojäger anschließend nur noch zu schlucken braucht. Zum ersten Mal beschrieb der Berliner Naturforscher Alexander von Humboldt diese Elektroschocks im Jahr 1800 in Südamerika.

 

Ken Catania von der Vanderbilt-Universität in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee lieferte Ende 2014 dann genauere Daten dazu. Drei Jahre später stellen Michael Mayer vom Adolphe-Merkle-Institut der Universität Fribourg an der französisch-deutschen Sprachgrenze im Westen der Schweiz und seine Kollegen in der Zeitschrift „Nature“ jetzt ein Elektroorgan nach dem Vorbild der Zitteraal-Zellen vor. In Zukunft könnten solche Entwicklungen einmal Herzschrittmacher, medizinische Messsonden oder Medikamentenpumpen im Körper eines Patienten mit Energie versorgen.

In der Natur steuert der Zitteraal seine elektrischen Entladungen mit Nervensignalen, die an jeder seiner hochspezialisierten Zellen exakt zur gleichen Zeit ankommen. Sogenannte Ionenkanalproteine leiten dann die außerhalb der Zelle in großen Mengen vorhandenen Natrium-Ionen, die elektrisch positiv geladen sind, ins Innere der Zelle. Parallel dazu strömen die in der Zelle reichlich vorhandenen und ebenfalls positiv geladenen Kalium-Ionen auf der anderen Seite durch spezielle Kalium-Ionenkanäle wieder aus der Zelle heraus. Gleichzeitig fließt dabei elektrischer Strom. Um auf eine Spannung von 600 Volt zu kommen, sind im elektrischen Organ des Zitteraals einige Tausend solcher Zellen hintereinandergeschaltet.

Es kommt auf die Ionenkanäle an

Von den elektrischen Fähigkeiten des Zitteraals sind Michael Mayer und seine Kollegen allerdings noch ziemlich weit entfernt, weil sie auf einige technische Probleme stoßen. So liefert das elektrische Organ des Zitteraals nur deshalb eine ansehnliche Leistung von bis zu 100 Watt, weil die Zellen der Tiere sehr spezifische Ionenkanäle haben. Das heißt, dass die Kalium-Kanäle fast ausschließlich Kalium-Ionen durchlassen, aber keine Natrium-Ionen – und umgekehrt. „Wir können zwar ebenfalls Membranen herstellen, die entweder sehr gezielt Natrium- oder Kalium-Ionen durchlassen. Nur fließen dort viel weniger Ionen als beim Zitteraal“, erklärt Michael Mayer. Das aber bedeutet auch einen dramatisch niedrigeren Stromfluss.

Aus diesem Grund haben die Forscher die Strategie des Zitteraals für ihre Untersuchung abgewandelt. Ein Hydrogel genanntes Riesenmolekül, das viel Wasser enthält, beladen die Forscher zusätzlich mit reichlich Kochsalz. Das wiederum besteht aus Natrium-Ionen, wie sie der Zitteraal in seinem elektrischen Organ fließen lässt, und elektrisch negativ geladenen Chlorid-Ionen. Da es für diese Ionen geeignete Membranen gibt, können die Forscher sie ähnlich wie im elektrischen Organ des Zitteraals fließen lassen und produzieren so einen winzigen Stromstoß.

Um ihr künstliches elektrisches Organ auch an- und ausschalten zu können, ordnen die Forscher die Hydrogele so an, dass die linsenförmigen Zellen zunächst nicht nebeneinanderliegen und daher auch kein Strom fließen kann. Nach dem Vorbild der japanischen Origami-Technik kann man diese Anordnung aber durch Drücken so zusammenfalten, dass die Tropfen nur von den Membranen getrennt direkt nebeneinander zu liegen kommen. Jetzt strömen die Ionen durch die Membran, und der Strom fließt.

Der Weg zur Anwendung ist noch weit

Ähnlich wie beim Zitteraal schalten auch die Forscher gut 600 solcher Anordnungen hintereinander und erhöhen so die Spannung immerhin auf 110 Volt. Da Hydrogele aus einem sehr ähnlichen Material bestehen wie Kontaktlinsen und sich mit dem Gewebe gut vertragen sollten, könnte eine solche Anordnung als Stromquelle für Implantate wie zum Beispiel Herzschrittmacher dienen, die bisher mit Batterien betrieben werden.

Allerdings müssen die Forscher bis dahin noch einen weiten Weg zurücklegen. So reichern sich mit dem Stromfluss an bestimmten Stellen Natrium- und Chlorid-Ionen an. Um die Gel-Zellen erneut aufzuladen, müssen die Forscher diese Ionen wieder zurückführen. In einem lebenden Organismus dürfte das schwierig sein. Besser wäre daher vielleicht das im Zitteraal funktionierende Prinzip, das die Ionen nach einem Elektroschock mithilfe eines Enzyms und der körpereigenen Energieversorgung wieder in die Ausgangsposition zurückpumpt.

Dazu müssten Membranen entwickelt werden, die gezielt Kalium- oder Natrium-Ionen in größeren Mengen als bisher durchlassen. Zusätzlich könnten die Forscher dort das passende Enzym einbauen, das auch in den Zellen von Menschen vorkommt. Vor Michael Mayer und seinen Kollegen liegt also noch ein weiter Weg bis zu einem elektrischen Organ, das Herzschrittmacher und andere Implantate kontinuierlich mit Energie versorgt.

Wasserbewohner unter Strom

Anatomie
Electrophorus electricus – bereits der wissenschaftliche Name der bis zu 20 Kilogramm schweren und mehr als zwei Meter langen Zitteraale weist auf ein sehr ungewöhnliches Organ hin. Der Fisch hat Muskelzellen so umgebaut, dass sie sich nicht mehr bewegen können und stattdessen elektrischen Strom erzeugen. Dieses elektrische Organ bedeckt rund 80 Prozent seines Körpers.

Angriff Stromstöße setzt der Zitteraal nicht nur ein, um Beute zu betäuben, sondern auch zur Verteidigung gegen Angreifer wie Kaimane oder Jaguare. Dazu schnellt er seinen Kopf aus dem Wasser und drückt ihn gegen den Feind, den er auch mit dem Schwanz berührt, um so den Stromkreis zu schließen.

Vielfalt Rund 250 Fischarten wie Zitterwelse und Zitterrochen haben ebenfalls elektrische Organe entwickelt. Mithilfe der so erzeugten Stromstöße orientieren sich die Tiere auch im trüben Wasser oder suchen einen Partner zur Fortpflanzung.