390 Hausärzte praktizieren in Stuttgart, mehr als ein Drittel von ihnen ist älter als 60 Jahre. Die Suche nach Nachfolgern ist schwierig. Das hat Folgen für die Patienten.

Stuttgart - Markus Klett ist 66 Jahre alt und arbeitet seit 30 Jahren als Hausarzt in Bad Cannstatt. In dieser Zeit war der Mediziner nur einen halben Tag krank. Klett fühlt sich bester Gesundheit und denkt nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Sein Kollege Suso Lederle ist Anfang 60, die nächsten zehn Jahre will der Allgemeinmediziner mit Gemeinschaftspraxis in der Innenstadt auf jeden Fall weitermachen. „Ich fühle mich gebraucht und anerkannt.“ 36 Prozent der 390 Stuttgarter Hausärzte sind älter als 60 Jahre, 14 Prozent sogar älter als 65. Schon jetzt haben die Ärzte Probleme, Nachfolger zu finden. „Wir haben 28 freie Hausarztsitze in Stuttgart, für die wir niemanden finden“, sagt Johannes Fechner, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV). Die Situation werde sich in den nächsten fünf Jahren weiter verschärfen.

 

Davon, wie mühselig es ist, einen Nachfolger zu finden, kann Hans Müller ein Lied singen. Seit einem Jahr sucht der 62-Jährige einen Nachfolger für seine Praxis, drei Interessenten haben sich gemeldet, alle drei haben abgesagt. „Es geht um eine gut gehende Praxis, die ein Kollege ohne finanzielles Risiko übernehmen könnte“, versichert Müller, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, weil er seine Patienten nicht verunsichern will. 80 000 bis 100 000 Euro verlangt er als Ablöse. „Ein Nachfolger könnte anfangen und sofort verdienen.“ Bei den Gesprächen mit den Jungmedizinern hat Müller festgestellt, dass diese die Selbstständigkeit scheuen und sich lieber anstellen lassen.

Junge Ärzte streben in die mittelgroßen Städte

Eine aktuelle Umfrage unter Medizinstudenten der Universität Trier bestätigt, dass viele das finanzielle Risiko nicht mehr auf sich nehmen wollen. „250 000 Euro, die für die Übernahme einer Hausarztpraxis üblicherweise anfallen, will keiner mehr aufbringen“, sagt KV-Vorstand Fechner. Die Umfrage zeigt außerdem, dass die Jungmediziner nicht aufs flache Land wollen, aber auch nicht unbedingt in Großstädte wie Stuttgart. „Städte mittlerer Größe ab 50 000 und bis zu 500 000 Einwohnern sind am attraktivsten“, fasst Fechner die Ergebnisse zusammen.

Trotz der Schwierigkeiten bei der Suche nach Nachfolgern kommt die Kassenärztlichen Vereinigung zu dem Schluss, dass die hausärztliche Versorgung in Stuttgart derzeit noch gut ist. Auf lange Sicht aber müssen sich die Patienten auf längere Wege zu den Hausarztpraxen einstellen. „In ein paar Jahren werden wir weniger Hausärzte haben und die, die da sind, werden sich in Gemeinschaftspraxen mit zwei bis vier Ärzten zusammentun“, erklärt Fechner.

Am Stadtrand sind bereits Engpässe zu spüren

Markus Klett, der Sprecher der Stuttgarter Ärzteschaft, sieht dagegen schon heute Engpässe. „In den Randbezirken spüren wir eine gewisse Ausdünnung.“ Als Beispiele nennt der 66-Jährige Stammheim, Giebel, Feuerbach und Zuffenhausen. Stammheims Bezirksvorsteherin Susanne Korge jedenfalls kommen regelmäßig Klagen aus dem Stadtteil zu Ohren. „Erst vor ein paar Tagen war eine ältere Frau bei mir, die nach Stammheim gezogen ist, aber ihre Hausärztin in Vaihingen behalten hat, weil sie in Stammheim in keiner Hausarztpraxis unterkam.“ Aus ihrer Sicht sind drei Hausärzte in einem Stadtbezirk mit 12 000 Einwohnern zu wenig. „Stammheim wächst, wir brauchen eine weitere Praxis.“ Korge hat deshalb Jungärzte durch den Stadtteil geführt und ihnen mögliche Praxisräume gezeigt. „Es gibt ein klares Nord-Süd-Gefälle in Stuttgart. Wenn sich ein Hausarzt niederlässt, dann dort, wo der Wohlstand größer ist“, klagt Korge.

Auslaufmodell Einzelpraxis

In Zukunft müssen sich die Patienten nicht nur auf längere Wege zum Hausarzt einstellen, sondern auch auf andere Praxisgrößen. Heute noch sind 60 Prozent der 390 Stuttgarter Hausärzte in Einzelpraxen tätig, die KV aber spricht von einem Auslaufmodell. Die Zukunft gehöre den Gemeinschaftspraxen und medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit vielen angestellten Ärzten. „Die zwölf Stunden Arbeit täglich, die heute ein Hausarzt noch alleine macht, werden sich in Zukunft zwei oder drei Mediziner teilen“, sagt Markus Klett, der selbst über die Gründung eines MVZ nachdenkt, in das auch Ehefrau und Tochter eingebunden werden sollen. „Ich will meine Praxis zukunftsfähig machen.“ Die Statistiken bestätigen den Trend zum Arzt in Anstellung. In Baden-Württemberg sind von den etwa 800 neu in den Beruf eingetretenen Ärzten erstmals 50 Prozent im Angestelltenverhältnis, so viele wie noch nie. „Wir haben immer mehr Frauen in der Medizin, die Kind und Beruf vereinbaren wollen und deshalb andere Arbeitszeiten fordern“, stellt Klett fest.

Hausärzte der alten Schule

Markus Klett, Suso Lederle und Hans Müller sind Hausärzte der alten Schule und – glaubt man den Vorhersagen der KV – so etwas wie Fossilien. Arbeitszeiten von 60 Stunden in der Woche gehören für sie zum Berufsbild dazu, genauso wie die Selbstständigkeit und eine enge, über Jahre gewachsene Beziehung zu den Patienten. „Wir waren es in der Klinik gewohnt, von Freitagfrüh bis Montagmittag zu arbeiten, und haben das in der Praxis weiter so gehalten“, erzählt Lederle. Sein Kollege Hans Müller ist bis heute froh, sein eigener Chef zu sein und entscheiden zu können, mit wem er zusammenarbeitet. Alle drei sind stolz darauf, Allgemeinmediziner zu sein: „Ein Kardiologe arbeitet seine 40 Krankheitsbilder ab, als Hausarzt hat man mit so vielen Krankheitsbildern zu tun wie in keinem anderen Fachgebiet“, sagt Müller.

Wichtig in ihrer täglichen Arbeit ist ihnen auch die enge Bindung an die Patienten. Aber auch das dürfte bald der Vergangenheit angehören: „In Zukunft wird es der Patient mit einem Praxisteam zu tun haben und nicht mehr nur mit dem einen vertrauten Hausarzt“, sagt KV-Vorstand Fechner. Und Markus Klett spricht von einer gewissen „Entpersönlichung“.

Frauen verändern das Berufsbild

Verah und Co. In den Praxen finden sich neue Berufsgruppen, die Aufgaben des Arztes übernehmen. In Baden-Württemberg gibt es seit einiger Zeit die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (Verah). Bundesweit ist im Jahr 2015 die nicht-ärztliche Praxisassistentin dazugekommen. Es handelt es sich um medizinische Fachangestellte mit Weiterbildung, die eigenständig Hausbesuche übernehmen können.

Stuttgart In Stuttgart sind im Jahr 2014 mindestens zwei Hausärzte ganz weggefallen, fünf weitere wurden durch Halbtagsangestellte ersetzt.Die Kassenärztliche Vereinigung spricht für 2014 von einem „Nettoverlust von mehr als vier Hausärzten“. Von den 390 Allgemeinmedizinern in Stuttgart sind 43 Prozent Frauen. Betrachtet man nur die angestellten Hausärzte liegt der Anteil bei 71 Prozent.

Statistik
Im Land hat die Gesamtzahl der Hausärzte in den vergangenen Jahren nur leicht abgenommen, dramatisch ist aber die Verschiebung von den zugelassenen Ärzten hin zu den angestellten. 2015 sindin Baden-Württemberg 6284 Hausärzte zugelassen und 797 angestellt. Im Jahr 2007 standen 6988 zugelassenen Allgemeinmedizinern noch 185 angestellte gegenüber.

Ausbildung
Bis Ende 2015 fördert das Sozialministerium Studierende, die ihr Praktisches Jahr bei einem Hausarzt absolvieren. Die Studierenden erhalten 500 Euro im Monat, die Praxen 3000 Euro pro PJ-Platz. Derzeit ist unklar, ob die Förderung weitergeführt wird. Deshalb schlagen die Medizinischen Fakultäten an den Universitäten Alarm.