Alzheimer lässt sich mit neuen Methoden frühzeitig erkennen. Doch wer will das wissen, wenn eine Heilung nicht möglich ist?

Stuttgart - Die Eheleute sind erst Anfang 70. Sie hat Alzheimer. Eine Diagnose, vor der sich laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK jeder zweite Deutsche fürchtet. Wenn das Gedächtnis schwindet, die Sprache, der Geist, dann ist es, als gehe das Individuum verloren. Das erscheint besonders schlimm, wenn diese Diagnose nicht erst mit 80 oder 90 gestellt wird, sondern bereits mit 65 oder 70, wie bei der Patientin von Hansjörg Bäzner, dem Ärztlichen Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum Stuttgart. Das ist nicht selten. "Bei der Alzheimer-Demenz ist der Anteil jüngerer Patienten groß", sagt Bäzner.

 

Eine frühe Diagnose ist bei vielen Krankheiten hilfreich. Doch bei Demenzerkrankungen offenbart sich ein Dilemma: die Diagnostik hat sich deutlich weiterentwickelt, die Therapie dagegen noch nicht. "Die Diagnose Alzheimer", sagt Hermann-Josef Gertz, Leiter der Gerontopsychiatrie an der Universität Leipzig, "kann heute wesentlich früher festgestellt werden, auch wenn die Patienten noch kaum Symptome bemerken. Die zur Verfügung stehenden Medikamente sind aber für ein fortgeschrittenes Stadium gedacht". Das sei "ein echtes Problem, das sich noch zuspitzen wird". Denn eine für Gertz bahnbrechende Untersuchungsmethode ist die Positronen-Emissions-Tomografie, kurz PET.

Verschiedene Diagnose-Verfahren

Das teure bildgebende Verfahren aus der Nuklearmedizin wird auch bei Tumorerkrankungen eingesetzt und macht mit neu entwickelten radioaktiven Substanzen Eiweißablagerungen im Gehirn sichtbar, wie es bisher nur nach dem Tod bei einer Autopsie möglich war. Ein anderes Verfahren hat ein Team um Henryk Barthel vom Universitätsklinikum Leipzig untersucht und im Medizinjournal "Lancet" beschrieben: Mit der Markersubstanz Florbetaben von Bayer-Schering-Pharma haben die Wissenschaftler das Eiweiß Beta-Amyloid im Gehirn von Alzheimer-Patienten sichtbar macht. Beta-Amyloid gilt als ein wichtiger Faktor, der zu Alzheimer führen kann. Da sich das Eiweiß Jahre vor den ersten Symptomen anlagert, halten es die Wissenschaftler für möglich, dass man mit Florbetaben eine Alzheimer-Demenz noch vor ihrem Ausbruch erkennen könnte.

Will man aber etwas von einer Krankheit wissen, die kaum behandelbar ist? Für Gunter Sachs war Alzheimer "die ausweglose Krankheit A.", ein "würdeloser Zustand", dem er sich durch Freitod entzog. "Wir wissen wenig darüber, ob Menschen, die bereits Gedächtnisstörungen haben, eine solche Diagnose kennen wollen", sagt Hermann-Josef Gertz. "Viele Nervenärzte wollen es nicht wissen." Denn laut Gertz gibt es ein weiteres großes Fragezeichen: Die Geschwindigkeit, mit der die Krankheit fortschreitet, kann bisher nicht vorhergesagt werden. Auch deshalb diskutierte Gertz gerade auf einem Kongress mit Experten darüber, ob eine frühe Diagnostik in jedem Fall angestrebt werden sollte.

Patienten, Angehörige und Ärzte müssen sich ethischen Fragen stellen, die sich aus dem medizinischen Fortschritt stellen. Gleichzeitig wollen Experten die Krankheit entdramatisieren. Die Diagnose Alzheimer müsse nicht bedeuten, dass man binnen kurzer Zeit hilflos ist. Die Beeinträchtigungen können lange milde bleiben, der Zustand über Jahre stabil. Die Krankheit kann aber auch rasch fortschreiten.

Therapien und Vitamine

Bei der Besprechung der Diagnose sei "viel Fingerspitzengefühl und Vorsicht" nötig, betont Andrea Stauder, Leiterin der Memory Clinic am Klinikum Stuttgart, die auch eine Gedächtnissprechstunde anbietet. Auch sie rät, das Thema Demenz nicht auf Ohnmacht zu fokussieren. Vielen Patienten nehme die Diagnose Demenz den Leidensdruck: "Menschen, die bereits im Alltag eingeschränkt sind, sind sehr dankbar, Hilfe zu erhalten." Auch ohne heilende Medikamente gebe es viele Möglichkeiten zu helfen. Arzneimittel etwa, welche die geistige Leistungsfähigkeit verbessern oder stabilisieren. Je eher man diese Antidementiva verordnet, desto größer ist die Chance, eine Verschlimmerung hinauszuzögern. Andrea Stauder empfiehlt zudem eine Verhaltenstherapie, um mit den Beschwerden leben zu lernen, oder eine Aktivierung, also Hilfestellungen und Übungen, die es Kranken ermöglichen, weiter am sozialen Leben teilzunehmen.

Wird Alzheimer früh diagnostiziert, sollten Betroffene regelmäßig zum Arzt gehen, um den Verlauf der Krankheit zu kontrollieren, rät Hansjörg Bäzner, am besten alle drei Monate, dann könne man auf Veränderungen rasch reagieren. "Wir glauben, dass regelmäßige Bewegung positive Effekte bringt, auch eine vitaminreiche, fettarme Ernährung." Da Vitamine wie das Vitamin B12 eine wichtige Rolle im Stoffwechsel und im Umbau von Eiweißbausteinen spielen, vermuten Experten schön länger, dass ein Mangel an Vitamin B12 die Entstehung einer Demenz begünstigen kann.

Auch Ralf-Joachim Schulz von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie plädiert für eine frühe Diagnostik. Betroffene könnten wichtige Weichen stellen: die Wohnung anpassen, die Familie informieren, eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht verfassen, vielleicht sich noch den einen oder anderen Wunsch erfüllen. "Sich zurückziehen, das geht bei dieser Krankheit nicht", sagt Schulz, "denn man ist auf die Hilfe anderer angewiesen." Vor allem sollten andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. "Mehr als zehn Prozent der Demenzkranken leiden an einer Form, die gut behandelbar oder sogar heilbar ist", sagt Schulz. Denn die typischen Symptome können auch von anderen Krankheiten ausgelöst werden, etwa von einer Schilddrüsenüberfunktion oder durch einen Hirntumor. Zwar gebe es auch ein Recht auf Nichtwissen, "aber Wegschauen hat noch nie geholfen", sagt Schulz. "Ich bin sicher, dass wir in absehbarer Zeit Demenzerkrankungen gut therapieren, wenn auch immer noch nicht heilen können."

Informationen des Bundesfamilienministeriums unter

www.wegweiser-demenz.de


Häufigkeit Mehr als eine Million Menschen in Deutschland leiden an einer Demenz, etwa zwei Drittel davon an Alzheimer, der häufigsten Form der Demenzerkrankungen. Weit verbreitet ist auch die vaskuläre Demenz, verursacht durch Durchblutungsstörungen im Gehirn. Risikofaktoren sind hier vor allem Herzrhythmusstörungen, erhöhte Zucker- und Cholesterinwerte sowie erhöhter Blutdruck.

Diagnose Die Frage, ob jemand an einer Form von Demenz leidet, sollte niemand für sich selbst beantworten. „Wenn ich in den Keller gehe und dann nicht mehr weiß, was ich dort wollte, ist das normal“, erklärt Hansjörg Bäzner, Neurologe am Klinikum Stuttgart. „Auch wenn ich den Schlüssel verlege oder mal den Wochentag vergesse. Aber wenn ich bei 30 Grad einen Wollpulli anziehe und mich in meiner vertrauten Umgebung nicht mehr zurechtfinde, dann ist das nicht normal.“ Er empfiehlt, früh zum Arzt zu gehen.

Hausarzt Der Hausarzt kann zu einer Gedächtnissprechstunde überweisen, wie sie im Klinikum Stuttgart angeboten wird. Meist kommen Patienten bei größeren Beeinträchtigungen. Die Beschwerden werden analysiert, der Patient wird körperlich und geistig untersucht. Letzte Klarheit kann die Punktion des Nervenwassers geben, die Liquordiagnostik, bei der Eiweiße im Gehirn bestimmt werden.

Therapie Demenzerkrankungen sind bis heute nicht heilbar, der Verlauf kann aber verlangsamt werden. Die dazu eingesetzten Medikamente (Antidementiva) haben Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Durchfall.