Ob Erbstück oder Internetschnäppchen: Vintage-Uhren sind als Modeaccessoires und lohnende Wertanlagen begehrt. Warum mittlerweile auch immer mehr junge Menschen lieber gebrauchte Uhren statt neuer am Handgelenk tragen.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Das Auge wird schnell müde. Bei all den menschlichen Körperregionen, die in den vergangenen Jahren von vielen selbst ernannten Expertinnen und Experten in Stilfragen besonders aufmerksam beäugt und hochgejubelt wurden, kann letztlich nur eine nachhaltig die Neugierde wecken. Nackte Schultern, Fußfesseln oder Bäuche? Laaangweilig! Das Handgelenk ist das neue Dekolleté. Und das schon seit bald einem Jahrzehnt.

 

In dieser Zeit haben sich gerade jüngere Menschen – der Volksmund nennt sie auch die Generation Z – mit gebrauchten Armbanduhren eingedeckt. Und das lustigerweise gerade nach einem vermeintlich technischen Innovationsschub, als nicht wenige dachten, dass den analogen Armbanduhren das letzte Stündlein bimmelt. Die Markteinführung der Smartwatch erwies sich schon nach kurzer Euphorie als Rohrkrepierer. Ein Handy am Handgelenk ist ungefähr so cool wie ein digitaler Bilderrahmen auf dem Büroschreibtisch.

Haptische Erlebnisse

In einer Welt voller Bildschirmoberflächen sehnen sich die Leute nach Dingen mit emotionalem Mehrwert, nach haptischen Erlebnissen. Um das Ablesen der genauen Uhrzeit ging es bei einer schönen, vielleicht sogar wertvollen Armbanduhr ohnehin noch nie. „In einer Zeit, in der sich alles um Digitalisierung dreht, gewinnt die Mechanik an Bedeutung. Und: Eine mechanische Uhr ist ein klassisches Beispiel für Nachhaltigkeit“, erklärt Michael Brückner den Trend zum Analogen mit einem gewissen Umweltbewusstsein bei den jüngeren Leuten, die oft besser als ihre Eltern wissen, was mit Lünette, Komplikation, Gangreserve oder Saphirboden tatsächlich gemeint ist.

Michael Brückner ist ein profunder Uhrenkenner. Sein im Münchner Finanzbuchverlag erscheinendes Buch „Uhren als Kapitalanlage“ gilt als Standardwerk für Sammler. „Ordentlich gepflegt und gewartet, überleben mechanische Zeitmesser in aller Regel sogar ihre Besitzer“, sagt der Uhrenexperte Brückner. „Man stelle sich nur einmal vor, wie viele Batterien in einer Quarzuhr in dieser Zeit ausgetauscht werden müssen.“

Älter als 25 Jahre

Unter Vintage-Uhren versteht man Zeitmesser, die mindestens 25 Jahre alt sind, besser noch vor 1990 gefertigt wurden, aber es gibt auch Spezialisten, die da nicht so streng urteilen. Michael Brückner weiß es genau: „Es lässt sich darüber streiten, ab wann Zeitmesser als Vintage-Uhren gelten. Faustregel: Sie sollten älter sein als 25 Jahre. Produktionszeit also in den 1990er Jahren oder früher. Begehrt sind vor allem Modelle mit einem besonderen Kaliber. Beispielhaft sei an dieser Stelle das Handaufzugs-Chronographenwerk Lemania 1873 erwähnt. Man findet dieses Kaliber zum Beispiel in älteren Navitimer-Uhren von Breitling.“

Man merkt: Wer sich mit einem Uhrenkenner wie Michael Brückner unterhält, lernt stets hinzu. Doch nicht jeder, der eine ältere Uhr begehrt, muss sich dermaßen gut auskennen, oder? Hauptsache, gebraucht, gern mit Patina, aber ansonsten top in Schuss, würde der Laie sagen, wenn er auf dem Flohmarkt, im Nachttisch des verstorbenen Onkels oder auf Internetplattformen wie Chronext und Vintagetick schicke Secondhand-Preziosen für den Unterarm findet.

Doch wie so oft im Leben wird es dann kompliziert, wenn bei einer Investition Herz und Verstand nicht im gleichen Takt schlagen. Will man mit der Mode gehen, bestimmte Interessen vertiefen oder doch vernünftig investieren, also Uhren als Kapitalanlage sammeln? Eine schwierige Entscheidung, die auch von der eigenen Kassenlage abhängt.

Klassische Taucheruhr

Wer nichts falsch machen möchte, der legt sich bei sehr guter Finanzausstattung eine Rolex Submariner aus den 90er Jahren zu – eine klassische Taucheruhr, sicherheitshalber mit Echtheitszertifikat, allen Dokumenten und, falls vorhanden, mitsamt der Originalschachtel.

Die Zeitmesser der legendären Schweizer Manufaktur sind ähnlich wertbeständig und beliebt wie die verschiedenen Modelle der Speedmaster- und Seamaster-Reihen der schon kultisch verehrten Traditionsmarke Omega.

Natürlich kann man auch Vintage- Uhren mit rein nostalgischem Wert kaufen. Hipster tragen seit einiger Zeit gern Uhren mit grünen Ziffern spazieren. Fliegeruhren kantig und groß wie Glasbausteine haben viele Fans, vor allem wenn sie aus der untergegangenen Sowjetunion stammen, schon weil das Design so eigenständig war. Oder Zeitmesser aus Japan, wobei sicher die Firma Seiko die reizvollsten Klassiker in der historischen Firmenvitrine hat.

Und nicht zu vergessen die Swatch-Uhren: Die poppigen Kunststoffteile sind für die Seelenhygiene mindestens so gut wie manch eine peinliche Ü-50-Party. Zudem war die Gestaltung gerade der dezenter designten Swatch-Uhren Ende der 90er Jahre im Rückblick absolut gelungen.

Und dann wären da noch die Cineasten mit einem Faible für besondere Filmhelden, die heute wie aus der genderfluiden Zeit gefallen wirken und wahrscheinlich gerade deswegen so viele Bewunderer haben. „Das gilt für alle James-Bond-Uhren von Omega, aber auch für eine Rolex Daytona, die Paul Newman trug, oder die TAG Heuer Monaco, die Steve McQueen berühmt gemacht hat“, sagt Uhrenkenner Michael Brückner.

Bei den Marktpreisen für solche Vintage-Modelle können allerdings viele Normalverdiener nur noch mit den Augen rollen. Gibt es denn auch Uhren für unter 1000 Euro, die nicht nur Spaß machen, sondern auch in der Not beim Pfandleiher was bringen? Von wegen Inflation und so. „Uhren unter 1000 Euro? Echt schwierig“, sagt Michael Brückner. „Vielleicht die Junghans Max Bill Automatik oder auch japanische Uhren, zum Beispiel die Taucheruhr Seiko Prospex Automatic Diver, Save the Ocean, Special Edition.“ Höchste Zeit für eine ganz neue, alte Uhr.