Die Zahl der offenen Lehrstellen steigt im Südwesten. Gleichzeitig finden viele junge Menschen keinen oder nicht den gewünschten Ausbildungsplatz. Warum ist das so?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Stuttgart - Von der Ausbildungssituation in Baden-Württemberg in diesem Jahr können vor allem die Lehrlinge profitieren – im Gegensatz zu den Betrieben. Auf insgesamt 82 000 angebotene Stellen kamen 66 000 Bewerber, von denen 34 582 zum 30. September einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hatten. Damit liegt die Zahl der Verträge in etwa auf dem Vorjahresniveau. „Ein stabiler Ausbildungsmarkt ist angesichts unseres großen Bedarfs an Fachkräften eine positive Entwicklung“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) am Montag bei der Präsentation der aktuellen Ausbildungszahlen. Dennoch gibt es auch weiterhin Sorgen und Nöte.

 

Auf 100 Ausbildungsstellen kamen 83 Bewerber und „die Schere geht von Jahr zu Jahr weiter auseinander“, sagte Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit (BA). Dass es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber gäbe, sei für die Suchenden günstig, so Rauch. Trotzdem gibt es viele Auszubildende, die letztlich nicht im gewünschten Beruf gelandet sind. Auch, dass viele Betriebe Auszubildende gesucht, aber niemanden gefunden haben, sei ungünstig.

Mehr als 1000 Bewerber, das sind insgesamt 1,6 Prozent, waren laut Rauch zum Stichtag 30. September noch vollkommen unversorgt. Weitere knapp 8200 junge Leute hätten keinen passenden Ausbildungsplatz gefunden, nutzten aber Alternativmöglichkeiten wie eine weitere Schulausbildung oder seien direkt in einen Job gestartet.

Wo die Lehrstellensuche schwierig ist

Dass alles in allem rund 9200 junge Leute keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, liegt nicht zuletzt an regionalen Unterschieden. Wer in den Landkreisen Freiburg, Heidelberg oder Rems-Murr eine Ausbildung beginnen wollte, hatte mit 140 Bewerbern auf 100 Stellen wesentlich schlechtere Chancen als im Landkreis Ulm, dem Main-Tauber-Kreis oder dem Landkreis Balingen. Dort kamen jeweils 70 oder weniger Bewerber auf 100 Stellen. Auch in Stuttgart waren es weniger als 80 Suchende auf 100 Ausbildungsplätze. Als ideal gilt übrigens ein Verhältnis von 88 zu 100, dann liegt zufolge ein „auswahlfähiges Angebot“ vor.

Zum anderen zeigen sich Unterschiede nach Berufswünschen. Schlecht standen die Chancen etwa in den Bereichen Einkauf und Vertrieb mit 800 Bewerbungen auf 100 Stellen. Aber auch im Bereich Tierpflege, im Bestattungswesen oder im Verkauf sah es für die Bewerber nicht unbedingt rosig aus, weil es jeweils mehr Bewerber als freie Stellen gab. Es gibt aber auch eine Reihe von Berufen, bei denen die Nachfrage geringer als das Angebot war – und damit waren die Chancen auf einen Ausbildungsplatz recht gut. Dies war in diesem Jahr vor allem bei technischen Berufen, im Baugewerbe sowie in der Hotellerie und Gastronomie der Fall.

Frenzer-Wolf: Viele Ausbildungsplätze sind unattraktiv

Bei diesen Ausbildungsberufen kritisierte Gabriele Frenzer-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) die Bedingungen. „Lehrstellen bleiben dort unbesetzt, wo die Ausbildung unattraktiv ist und wo die späteren Berufsperspektiven mäßig sind“, sagte Frenzer-Wolf. Rund ein Drittel der Azubis sei letztlich nicht zufrieden mit der gewählten Ausbildung, betroffen seien vor allem die Branchen mit vielen offenen Stellen. „Wer permanent Überstunden machen muss, nur Regale auffüllt oder umgekehrt als Azubi allein den Laden schmeißen muss, wird für seinen Lehrberuf nicht die Werbetrommel rühren“, so Frenzer-Wolf weiter. Dazu würde durchschnittlich etwa jeder Fünfte die Ausbildung abbrechen. „Wir müssen die Ausbildungsqualität in diesen Berufen steigern“, so ihr Fazit.

2100 Flüchtlinge beginnen eine Ausbildung

Die Personengruppe der Geflüchteten trägt indes dazu bei, dass die Schere zwischen der großen Zahl an offenen Ausbildungsstellen und den Bewerbern nicht noch weiter auseinandergeht. 5000 Flüchtlinge sind bei der BA als auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle gemeldet. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Immerhin 2100 von ihnen konnten eine Ausbildung beginnen, eine Steigerung von 30 Prozent gegenüber 2017. Und: „Geflüchtete gehen vor allem in Berufsgruppen, wo ein Mangel an Auszubildenden herrscht“, sagte Rauch von der Agentur für Arbeit.

Etwa 1000 der Geflüchteten, die jetzt eine Ausbildung begonnen haben, sind in einem unsicheren Aufenthaltsstatus – sind also derzeit ohne Asylentscheid, in einem Klageverfahren oder geduldet. Ob sie dem Arbeitsmarkt nach der Ausbildung dauerhaft erhalten bleiben, ist also derzeit noch unklar, was insbesondere den Ausbildungsbetrieben oft Sorgen bereitet.