In der Nähe des Stuttgarter Hauptbahnhofs ist unser Flüchtlingsreporter Zeuge einer Attacke gegen eine Frau geworden. Gemeinsam mit zwei anderen hielt er den Täter fest. Die Reaktionen von Passanten bestürzten ihn.

Stuttgart - Als ich vor Kurzem gegen 2 Uhr nachts am Wochenende in der Nähe des Hauptbahnhofs unterwegs war, um meinen Nachtbus zu erreichen, fiel mir ein Mann auf, der ein Mädchen lautstark bedrohte. Die beiden schienen ein Paar zu sein und waren offensichtlich alkoholisiert. Der Mann hinderte das im Gesicht blutende Mädchen am Aufstehen und Weglaufen. Als ich mich den beiden näherte, schlug der Mann mehrfach auf seine Begleiterin ein. Schon vorher musste umstehenden Menschen klar gewesen sein, dass die Situation für die junge Frau sehr bedrohlich war. Spätestens jetzt musste doch jemand eingreifen, dachte ich. Die junge Frau war hilflos und weinte. Doch außer mir schienen lediglich zwei junge Männer den gleichen Gedanken gehabt zu haben.

 

Wir griffen ein und versuchten die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Einer der jungen Männer rief die Polizei. Da wir aber merkten, dass die Stimmung immer aggressiver wurde und der Täter nun auch uns bedrohte und handgreiflich werden wollte, baten wir andere Passanten um Unterstützung. Aber niemand wollte einschreiten. Dagegen erlebte ich peinlich berührtes Schweigen oder Weitergehen. Irgendwie gelang es uns dennoch, den aufdringlichen Mann zu kontrollieren, bis die Polizei eintraf.

In Syrien gibt es auch Gewalt gegen Frauen, aber hinter verschlossenen Türen

In dieser Nacht war ich zweimal entsetzt: Über einen Mann, der eine Frau auf offener Straße derart heftig attackierte – und über die Ignoranz vieler Menschen, die eine solche Situation miterlebten, aber scheinbar gleichgültig hinnahmen und nicht einschritten.

In meinem Heimatland habe ich noch nie Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit erlebt. Es gilt als Tabu, Frauen öffentlich schlecht zu behandeln. Aber das heißt leider nicht, dass Frauen nicht von Männern geschlagen oder schlecht behandelt werden. Meist geschieht die Gewalt hinter verschlossenen Türen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das macht es für Frauen oft noch schwieriger, denn es gibt kaum oder gar keine Zeugen für ihre Not.

Den Mund aufmachen, wenn man Ungerechtigkeit erlebt

Gewalt gegen Frauen muss aufhören. Egal ob auf offener Straße oder zu Hause. Und sollte es dennoch dazu kommen, wünsche ich mir eine Welt, in der Frauen die Möglichkeit dazu haben, sich anderen anzuvertrauen und den Mut finden, um Hilfe zu bitten. Und ich wünsche mir mehr Menschen, die mit offenen Augen durch diese Welt gehen und Situationen erkennen, in denen andere Hilfe und Unterstützung brauchen. Menschen, die handeln und den Mund aufmachen, wenn sie Ungerechtigkeit erleben. Zivilcourage nennt man das hier in Deutschland. Ich mag dieses Wort.