Vor 25 Jahren bekannte sich Melissa Etheridge mit ihrem legendären Album „Yes I am“ öffentlich zu ihrer Liebe zu Frauen. In der Stuttgarter Liederhalle hat sie in einer musikalischen Rückschau ihre alten Songs und ein zuversichtliches Lebensgefühl gefeiert

Stuttgart - Als Melissa Etheridge 1988 den Song „Like the way I do“ veröffentlicht, landet sie einen Riesencoup. Beim ersten Hören klingt die stramme Rocknummer mit ihrer simplen Besetzung aus Gitarre, Schlagzeug und Bass zwar vergleichsweise konventionell. Bemerkenswert ist aber neben der packenden Energie des Stücks Etheridges wandlungsfähiges Organ, das mal grollt und gurrt, mal zetert und jault. Unerhört erst recht der Text, in dem ein weibliches lyrisches Ich ein unbestimmtes Gegenüber anraunzt; verletzt höhnend und rasend vor Wut. Der rhythmisch hervorgestoßene Refrain ist bis heute legendär, in jeder Ü-30-Disco ein Mitgröl-Hit: „Baby tell me does she love you/ like the way I love you/ does she stimulate you, attract and captivate you?“

 

Man kann darin ganz rollenkonform eine Frau hören, die ihrem Liebsten eine Szene macht, weil der sich mit einer anderen vergnügt. Doch ein paar Jahre später, mit dem 1993 erschienenen Album „Yes I Am“ stellt Melissa Etheridge klar, dass nicht Männer als besungene Subjekte im Zentrum ihrer Lieder stehen, sondern Frauen. Fünfundzwanzig Jahre ist dieses Coming-Out her, für die 1961 in Kansas Geborene ein Grund zum Feiern, wie sie bei ihrem Konzert am vergangenen Freitag in der Liederhalle bekräftigt. Der Abend ist als musikalische Rückschau auf Etheridges künstlerische Anfänge und Entwicklung angelegt. Es sei eine spannende Zeit in ihrem Leben gewesen, erzählt sie vor gerammelt vollem Saal, sie habe einiges lernen müssen über die Liebe, wobei sie auch schon mal in Schwierigkeiten geraten sei. Mit „Let me go“ beginnt der Streifzug durch die Sturm-und-Drang-Zeit, mit „I want to come over“ verbindet Etheridge die ungesunde Obsession für jemanden, in den sie sich einst verliebt hatte.

Entwaffnend emotionale Lyrik

Seichtere Klänge, wie sie die Vollblutmusikerin etwa auf dem 2015 erschienenen Album „This is M.E.“ zum besten gab, sind an diesem Abend kein Thema. Überhaupt besticht das Konzert durch ein klares Bekenntnis zur Einfachheit. Ein paar Scheinwerfer werfen stimmungsvolles Licht auf die Bühne, an der Decke tanzen stilisierte grafische Muster im Takt zur Musik. Der Fokus liegt auf Etheridges entwaffnend emotionaler Lyrik und dem konzentrierten Spiel ihrer Kollegen an Hammond-Orgel, Bass und Schlagzeug. Den Titelsong „Yes I am“ schmettert Etheridge als inbrünstiges Statement, der Bassist David Santos steuert warme, funkige Bassläufe hinzu, feierlich wimmert die Orgel, das Schlagzeug drückt den Rhythmus fest in den Raum. So verbindlich der Sound, so offen plaudert Etheridge mit dem Publikum über ihre Homosexualität, ihre Krebserkrankung, die sie vor 15 Jahren erfolgreich überwand, über den Tod ihres Vaters, dem sie einen Song mit Mundharmonika widmet.

Ihr Land leide zur Zeit unter einem „nervous breakdown“ kommentiert Etheridge noch die aktuelle politische Lage in den USA, aber auch das sei irgendwann überstanden. Ganz gleich, wie hart die Themen sind, die Melissa Etheridge an diesem Abend aufgreift und im Spiel verarbeitet; ihr überbordender Optimismus steckt an. Nach pausen- und atemlosen neunzig Minuten gibt es den wohl am sehnlichsten herbeigewünschten Nachschlag; eine grandiose, fast zwanzigminütige Version von „Like the way I do“. Und ja, das knallt immer noch.