Die Niederlage des Topfavoriten Alexander Zverev zeigt, dass ein Freilos in Runde eins gerade für junge Spieler auf Rasen kein Vorteil sein muss.

Stuttgart - Alexander Zverev riss die Hände zum Himmel und schrie aus voller Seele: „Unbelievable!“ Und es war in der Tat unglaublich, was sein Gegenüber Dustin Brown am Donnerstag auf den Rasen des Centre-Court zauberte. Erste Aufschläge, für die man außerhalb des Tenniscourts einen Waffenschein bräuchte. Ansatzlose Vorhand-Slice-Stopps, für die manch ein Amateurspieler auch mal einen Rüffel von seinem Coach bekommt – mit seiner sehr unkonventionellen Spielweise brachte „Dreddy“, so der Spitzname des 34-jährigen Qualifikanten, seinen 22-jährigen Gegenüber völlig aus der Fassung und siegte nach etwas mehr als zwei Stunden mit 6:4, 6:7, 6:3.

 

Freilos kein Vorteil auf Rasen

Zverev hatte im Vorfeld geahnt, dass es schwer werden würde, seinen Rhythmus gegen Brown zu finden – dass dieser aber gute zwei Stunden am oberen Limit spielt, damit hatten weder der Weltmeister noch die Zuschauer auf dem erstmals in dieser Woche gut gefüllten Centre-Court gerechnet. „Ich hatte wenig Kontrolle, habe nicht gut retourniert und muss unbedingt an meinem zweiten Aufschlag arbeiten“, fasste der geknickte Weltmeister das Match gegen Brown zusammen. Während Zverev sich nun direkt auf die Weiterreise nach Halle/Westfalen begibt, steht der 34-jährige Brown zum zweiten Mal nach 2012 im Viertelfinale des Stuttgarter ATP-Turniers. Dort trifft er auf den kanadischen Jungstar Félix Auger-Aliassime, der mit gerade einmal 18 Jahren bereits auf Position 22 der Weltrangliste steht. „Ich versuche einfach mein Spiel zu spielen und dann schauen wir, ob das reicht“, will sich Brown keinen Druck machen vor dem Viertelfinale.

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Sichtlich bedient war Mercedes-Cup-Turnierdirektor Edwin Weindorfer: „Als Veranstalter sind wir mittlerweile einiges gewöhnt. Aber dass alle vier Topgesetzten nach der zweiten Runde raus sind, das habe ich noch nicht erlebt“, sagte der Österreicher. Neben Zverev waren ihm zuvor schon Karen Khachanov (23/an Position 2 gesetzt) am Donnerstag und Daniil Medvedev (23/3) sowie Nikolos Bassilaschwili (27/4) am Mittwoch abhanden gekommen. „Wirtschaftliche Einbußen werden wir deswegen keine bekommen“, glaubt Weindorfer, und doch macht er aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: „Wir hätten uns das natürlich anders gewünscht.“

Böse Vorahnung bei den Favoriten

„Wir sind zwar ausgeruht, aber bezüglich der Spielpraxis auf Rasen kann das natürlich ein Nachteil sein“, hatte Medvedev eine Vorahnung im Hinblick auf das Freilos, das die vier togesetzten Profis in der ersten Runde hatten. „Wir jungen Spieler brauchen in der Regel ein paar Tage mehr, um uns an den Rasen zu gewöhnen“, mutmaßte Zverev, der allerdings weniger mit dem noch ungewohnten Untergrund als mit sich, seinem Gegner und seinen Emotionen zu kämpfen hatte.

Auch wenn die Konstellation ohne die Top-4 der Setzliste äußerst ungewöhnlich ist, freut sich Weindorfer auf die kommenden Tage: „Die Viertelfinals sind trotzdem stark besetzt.“ Der Kartenvorverkauf für den Freitag und Samstag lief bereits vor der kurzfristigen Verpflichtung von Zverev ausgezeichnet. Ein volles Stadion auf dem Weissenhof scheint also auch ohne Zverev und Co. garantiert. Die Hoffnungen des Turnierdirektors ruhen nun auf den verbliebenen Deutschen: „Dustin Brown ist ein super Typ und ein Liebling der Zuschauer. Ich würde ihm wünschen, dass er dieses Mal über das Viertelfinale hinauskommt.“ Sein Geheimfavorit für die kommenden Turniertage ist aber ein anderer Deutscher: Jan-Lennard Struff.

Struff jetzt der Favorit?

Der 29-jährige Westfale trifft am Freitag auf den Mercedes-Cup-Sieger von 2017, Lucas Pouille. Wer Struff in den vergangenen Wochen beobachtete, dürfte zu einer ähnlichen Einschätzung wie der Turnierdirektor kommen. Ruhig, abgebrüht und voller Selbstvertrauen spielt Struff, der vor dem ATP-Turnier in Stuttgart in Paris erstmals das French-Open-Achtelfinale erreicht hatte.

Das Thema Zverev ist zwar für dieses Jahr erledigt, aber der Star und Weindorfer betonen unisono, dass es im kommenden Jahr weitergehen soll. „Ich würde mich freuen, hier im kommenden Jahr besser zu spielen“, sagte Zverev. Weindorfer schob nach: „Selbst Roger Federer hat drei Anläufe gebraucht, um hier den Titel zu gewinnen. Vielleicht ist das bei Alexander Zverev ja auch so.“