Früher als erwartet ist Mercedes-Benz wieder zum weltweit führenden Premiumhersteller aufgestiegen. Der chinesische Markt und die Modelloffensive haben viel dazu beigetragen.

Stuttgart - Im Herbst 2011 verkündete Daimler-Chef Dieter Zetsche vor der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt eine neue langfristige Wachstumsstrategie. „Mercedes gehört auch beim Absatz an die Spitze“ verlangte Zetsche. Um dem Anspruch „Das Beste oder nichts“ zu genügen reiche es nicht aus, im Vergleich mit den Wettbewerbern Audi und BMW den höchsten Umsatz je Auto zu schaffen oder die meisten Vergleichstests zu gewinnen. Vielmehr gehöre dazu auch die Spitzenstellung beim Fahrzeugverkauf. „Im Jahr 2020 werden wir mehr Autos verkaufen als jeder andere Premiumhersteller“, sagte der Daimler-Chef voraus.

 

Dieses Ziel hat Zetsche nun für die Marke Mercedes-Benz bereits im vergangenen Jahr erreicht. BMW musste die lange gehaltene Führungsposition wieder abgeben. Mercedes-Benz verkaufte weltweit 2,08 Millionen Personenwagen und verwies die Marke BMW, die 2,0 Millionen Autos verkaufte, auf den zweiten Platz. Audi folgt mit 1,87 Millionen Wagen auf Platz drei.

Probleme in China beseitigt

Ein wesentlicher Grund für diesen Erfolg ist, dass die Stuttgarter ihre Baustellen in China beseitigt haben. „China war der Haupttreiber“, meint der Auto-Analyst Frank Biller von der Landesbank Baden-Württemberg und Stefan Bratzel, Chef des Forschungsinstituts Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch-Gladbach erinnert daran, dass Mercedes-Benz in China „Riesendefizite“ gehabt habe, die erfolgreich korrigiert worden seien. Eingeleitet wurde diese Kurskorrektur im Dezember 2012, als die Stuttgarter den Schwung im roten Riesenreich verloren hatten. Daimler schuf damals einen eigenen Vorstandsposten für China, den Hubertus Troska übernahm. Ein wichtiger Meilenstein war die Zusammenlegung von zwei rivalisierenden Vertriebsorganisationen für importierte und in China produzierte Fahrzeuge und der Ausbau des Händlernetzes. Zudem wurde die Modellpalette in China erneuert und die Produktion dort deutlich ausgeweitet. All dies trug dazu bei, dass Mercedes-Benz den Rückstand zu den Rivalen auf dem größten Automarkt der Welt Schritt für Schritt verringern konnte. Im vergangenen Jahr legten die Stuttgarter dort um rund 27 Prozent auf rund 472 800 Autos zu, deutlich stärker als Audi und BMW. Mercedes-Benz liegt damit zwar immer noch hinter den beiden Rivalen, von denen Audi mit rund 591000 verkauften Autos die Nummer eins im roten Riesenreich ist; doch Daimler-Vorstand Troska zeigt sich zuversichtlich, dass die Stuttgarter dort weiter aufholen werden. „Ich bin sehr, sehr positiv gestimmt“, berichtete Troska kürzlich mit Blick auf die Chancen in diesem Jahr.

Modelloffensive bringt Absatz in Schwung

Viel Schwung gebracht hat Mercedes-Benz auch die Modelloffensive. Ferdinand Dudenhöffer, Chef des Duisburger Forschungsinstituts CAR, weist insbesondere auf die Ausweitung des Angebots an Geländewagen hin. Früher habe es nur die schon seit Jahrzehnten produzierte robuste G-Klasse, die intern auch als „Jägerwagen“ bezeichnet wird, gegeben. Ende der 1990er Jahre wurde dann mit der im US-Werk Tuscaloosa produzierten M-Klasse der Startschuss für eine Ausweitung des Angebots abgefeuert. Besonders eifrig war Daimler in diesem Bereich vor zwei Jahren. Daimler-Chef Zetsche erklärte 2015 zum „Jahr der Geländewagen“, weil damals in diesem sehr gefragten und wachstumsstarken Segment etliche Baureihen erneuert und zusätzliche Varianten auf den Markt gebracht wurden. Auf dem US-Markt, wo die wuchtigen Fahrzeuge besonders beliebt sind, ist nach Berechnungen von Dudenhöffer mittlerweile jedes zweite verkaufte Auto der Marke Mercedes-Benz ein Geländewagen. Damit liege die Marke mit dem Stern vor Audi und BMW. Insgesamt legte der Absatz der mittlerweile sieben Geländewagenmodelle um 34 Prozent auf mehr als 706 000 Autos zugelegt. Auch das Angebot in der Kompaktklasse hat Mercedes-Benz in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet. Schon bei der Ankündigung der Wachstumsstrategie vor sechs Jahren hatte Daimler-Chef Zetsche angekündigt, dass die Modelloffensive bei den kleinen Wagen eine Schlüsselrolle auf dem Weg zum größten Premiumhersteller der Welt spielen werde. Aus zwei Modellen wurden fünf. Im vergangenen Jahr legte der Absatz von Mercedes-Benz in diesem Segment um gut neun Prozent auf rund 637 000 Autos zu. In Detroit wurde in diesem Jahr der aufgefrischte kompakte Geländewagen GLA vorgestellt. Neben der Erweiterung der Modellpalette hat nach Einschätzung der Autoexperten auch ein frischeres Design zum Erfolg der Marke mit dem Stern beigetragen. Unter dem Designchef Gordon Wagener sei ein dynamischeres Design entwickelt worden, mit dem auch jüngere Kunden erobert werden konnten, meint CAM-Chef Stefan Bratzel.

Im Blick auf den Wettlauf um technische Spitzenleistungen sieht Bratzel alles in allem keine allzu großen Unterschiede zwischen den drei Premiumherstellern. „Die drei sind alles in allem auf Augenhöhe und treiben sich gegenseitig zu technischen Höchstleistungen an, urteilt Bratzel. Ferdinand Dudenhöffer findet, dass Mercedes-Benz bei der Elektromobilität bisher eher zurückliege. Auf dem Pariser Autosalon hat Daimler-Chef Zetsche nun im vergangenen Herbst eine große Elektroauto-Offensive angekündigt. Doch diese werde sich erst im nächsten Jahrzehnt so richtig in der Absatzbilanz niederschlagen.

Audi und BMW ziehen mit neuen Modellen nach

Im Vergleich mit Audi und BMW hat Mercedes-Benz nach Einschätzung des LBBW-Analysten Biller derzeit die jüngste Modellpalette. Doch dieser Vorteil dürfte in den kommenden Jahren schwinden, wenn Audi und BMW mit neuen Modellen nachziehen. Im laufenden Jahr wird Mercedes-Benz nach Einschätzung der Autoexperten auf jeden Fall seine Spitzenposition verteidigen. Aber wird die Marke mit dem Stern auch, wie von Zetsche einst angekündigt, im Jahre 2020 vorne liegen? Bei dieser Frage geraten die Experten ins Grübeln. Es sei offen, ob Mercedes die Krone behalten könne, meint Frank Biller. Auch Ferdinand Dudenhöffer will sich nicht ganz festlegen, wagt nach einigem Zögern jedoch die Aussage: „Die Chancen sind groß, dass Mercedes-Benz auch 2020 an der Spitze liegt.“