Formel-1-Rennstall Mercedes präsentiert den neuen Silberpfeil ganz nüchtern im Internet. Obwohl sich die Technik zur Saison 2021 kaum verändert hat, mag Teamchef Toto Wolff die Favoritenrolle nicht annehmen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Eine Show in einem Autohaus für die Präsentation eines neuen, edlen Modells ist bunter. Aufregender. Peppiger. Die Vorstellung des Mercedes mit der Bezeichnung AMG F1 W12 E Performance ist eine weltmeisterliche Leistung an Nüchternheit. In einer penibel reinen Umgebung auf blütenweißem Boden und vor einem weiß-schwarzen Sideboard in U-Form ruht der neue Wagen des Rennstalles der Daimler AG. Niemand hat das Fahrzeug mit majestätischen Gesten enthüllt, es steht einfach sichtbar da, als die Kameras eingeschaltet werden. Die Präsentation ist ein rein virtueller Akt im Internet, ohne Reporter, ohne Sponsoren, ohne Freunde der Daimler AG – deshalb gruppieren sich, in sicherem Coronaabstand, der jeden strengen Virologen zufriedengestellt hätte, lediglich der Mercedes-Moderator sowie die fahrenden Angestellten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas um den Stargast. Sie beantworten brav die Fragen, geben Einschätzungen für die kommende Formel-1-Saison, die am 28. März in Bahrain startet, sie machen eine gute Figur. „Es ist verrückt“, sagt Lewis Hamilton, „jetzt gehe ich in mein 15. Jahr in der Formel 1, und es wird meine neunte Saison bei Mercedes.“

 

Als der Brite 2007 als 22 Jahre alter Neuling bei McLaren-Mercedes neben dem zweimaligen Champion Fernando Alonso (25) in die Formel 1 eingeführt worden war, waren Fahrzeug-Präsentationen in der Formel 1 noch mondäne Schauspiele mit penibel aufgebauter Dramaturgie und strengem Drehbuch. Auf dem Expo-Gelände in Valencia wurde der Silberpfeil McLaren MP4-22 präsentiert vor mehreren 100 handverlesenen Gästen sowie Reportern, nach der Enthüllung zeigten Akrobaten des ruhmreichen Cirque du soleil atemberaubende Kunststücke und ganz am Ende erhellte ein formidables Feuerwerk für gut 20 Minuten die spanische Nacht von Valencia.

Hamilton wünscht sich stärkere Konkurrenten

Das war einmal und kommt nicht mehr. Nicht nur Mercedes, die gesamte Hochgeschwindigkeitsbranche hat in den vergangenen Jahren den Weg vom Pomp zur neuen Sachlichkeit zurückgelegt. Lewis Hamilton verwandelte sich vom beachteten Rookie zum bewunderten Rekordweltmeister, der das Gesicht der Rennserie geworden ist und der von Queen Elizabeth II. ob seiner Verdienste für das Königreich zum Ritter geschlagen wurde. Sir Lewis Hamilton steht lächelnd neben dem schwarzen Silberpfeil, mit dem er zum achten WM-Titel rasen will. Das sagt er so deutlich zwar nicht, aber er betont: „Wir sind in der Formel 1, um zu gewinnen.“ Ein wenig mehr Gegenwehr der Konkurrenz, findet der Weltmeister, wäre auch nicht unbedingt von Nachteil. „Red Bull ist gut, Ferrari kommt auch zurück“, plaudert der 36-Jährige, „und Sebastian Vettel bringt seine große Erfahrung und Stärke zu Aston Martin. Das wird eine besondere Saison.“ Keine markigen Worte, auch der Champion gefällt sich in der neuen Nüchternheit.

Er könnte den Mund voller nehmen. Weil für die anstehende Saison lediglich kleine Änderungen im Regelwerk vorgenommen wurden, geht Mercedes erneut als Favorit auf Welttournee – der neue Silberpfeil unterscheidet sich nur an wenigen Stellen vom alten, und der dominierte 2020 ziemlich in jedem Großen Preis. Beim W12 wurde vor allem die Aerodynamik des W11 beschnitten, so dass der Anpressdruck niedriger wird, dennoch verliert bei Mercedes keiner die Bodenhaftung. Auch der Chef nicht, trotz sieben Fahrer- und sieben Konstrukteurstiteln in Folge. „Das mit der Kristallkugel funktioniert nicht, ich habe es oft versucht“, sagt Teamchef Toto Wolff, „man kann die Zukunft nicht voraussehen. Der Erfolg der letzten Jahre bringt uns nichts.“

Es gilt der Kostendeckel von 120 Millionen Euro

Auch der Österreicher ist ein Freund der Sachlichkeit, selbst wenn sie nach Understatement klingen mag. Der Serie stehen einschneidende Veränderungen bevor. Erstmals greift die Budgetobergrenze von etwa 120 Millionen Euro. Für ein Team, das ein geschätztes Jahresbudget von mehr als 300 Millionen Euro zur Verfügung hatte, folgt das große Schrumpfen. „Die Kosten sind in den vergangenen 15 Jahren explodiert, das funktionierte nicht mehr“, sagt Wolff, „und jetzt wird es spannend, weil künftig alle im gleichen Rahmen arbeiten.“ Mercedes muss bei Arbeitsweise und Personal Änderungen vornehmen, und in den abgespeckten Strukturen das Auto für 2022 entwickeln. Weniger muss mehr sein, das gilt längst auch für die Formel 1. War die Präsentation von McLaren-Mercedes 2007 nach einer Stunde längst nicht am Ende, so verabschiedete sich Toto Wolff nach exakt 30 Minuten von der virtuellen Formel-1-Gemeinde. Selbst so manche Vorstellungen eines neuen Serienfahrzeuges in einem großen Autohaus dauern da länger.