In einer emotionalen Bundestagsrede fordert Merkel härtere Corona-Gegenmaßnahmen. Die Länder sind in Sache bei ihr – streiten jedoch über den richtigen Weg dorthin.

Berlin - Eindringlicher als jemals zuvor hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „in der entscheidenden Phase der Pandemiebekämpfung“ für ihren vorsichtigeren Kurs mit härteren Corona-Beschränkungen geworben. In der Generaldebatte zur Haushaltswoche des Bundestages warb sie am Mittwoch zum Teil fast flehentlich, dem Rat etwa der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina Folge zu leisten und das öffentliche Leben im Sinne des Gesundheitsschutzes weiter herunterzufahren, nach Weihnachten nur die Geschäfte des täglichen Bedarfs offen zu halten und die Schulferien vorzuziehen. „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben“, sagte die Kanzlerin: „Das sollten wir nicht tun.“

 

Sie begründete ihre Forderung nach weiteren Schließungen des Handels, aber auch von Glühwein- oder Waffelständen in den Straßen mit der jüngsten Entwicklungs des Infektionsgeschehens. Das Robert-Koch-Institut hatte kurz zuvor wieder mehr Ansteckungen und einen neuen negativen Tagesrekord bei den Opferzahlen vermeldet. „Es tut mir wirklich von Herzen leid“, sagte Merkel, „aber wenn wir dafür den Preis bezahlen, dass wir Totenzahlen am Tag von 590 Menschen haben, ist das nicht akzeptabel.“

Die Corona-Maßnahmen zerstören keine Leben

Die Corona-Maßnahmen, insbesondere das Abstandhalten, seien „ein bisschen unmenschlich“, zerstörten im Gegensatz zu mangelnder Vorsicht aber keine Leben. Mit der Aussicht auf einen schon bald wirksamen Impfstoff gebe es zudem „Licht am Ende des Tunnels“, so die Kanzlerin weiter. Bis dahin bitte sie die Bevölkerung „auch die nächsten nicht einfachen Tage mit uns durchzustehen“.

Die Empfehlungen ihrer Berater von der Leopoldina sehen auf Basis etwa der Erfahrungen in Irland vor, zusätzlich zum ohnehin geschlossenen Freizeitbereich ab nächster Woche jede Art von sportlichen und kulturellen Gruppenveranstaltungen zu untersagen, das Homeoffice wo möglich zur Regel zu machen und die Weihnachtsferien vorzuziehen. „Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis mal sagen“, fragte Merkel, „wenn wir nicht in der Lage waren, für diese paar Tage eine Lösung zu finden?“ Mit Beginn der Feiertage plädiert die Akademie für einen „harten Lockdown“ bis 10. Januar – mit verlängerten Ferien und einem bis auf das Nötigste geschlossenen Einzelhandel. Man könne sich nicht nur über Forschungserfolge wie die frühe Entwicklung eines Corona-Tests und nun eines Impfstoffes freuen, sondern müsse auch jetzt den Handlungsempfehlungen der Wissenschaft vertrauen: „Nehmen wir das ernst!“

Die Bundesländer liegen in der Sache nicht weit auseinander

In der Sache liegen die Bundesländer, die Pandemiemaßnahmen beschließen, nicht so weit auseinander. In Corona-Hochburgen in Baden-Württemberg oder Bayern gibt es Ausgangsbeschränkungen. Im besonders geplagten Sachsen sind Beschlüsse getroffen worden, die quasi eins zu eins den Leopoldina-Vorschlägen entsprechen. Der Berliner Senat hat die Ferien verlängert und diskutiert über eine weitgehende Einzelhandelsschließung.

Größere Meinungsverschiedenheiten gibt es zwischen den Ländern aber in der Frage, ob es für Verschärfungen eine zusätzliche Ministerpräsidentenkonferenz mit Merkel braucht. Mehrere SPD-, aber auch einige CDU-Regierte Länder verweisen auf die existierende Beschlusslage, die zusätzliche Maßnahmen in „Hotspots“ mit wöchentlich mehr als 200 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohnern ausdrücklich vorsieht. An den regional angepassten Maßnahmen wollen viele Länder festhalten – in Sachsen etwa liegen die Fallzahlen fünf Mal höher als in Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Auch die Kultusminister der Länder lehnen allgemeine Schulschließungen jenseits der Hotspots bisher ab. CSU-Gruppenchef Alexander Dobrindt nannte die Debatte am Mittwoch „befremdlich“.

Merkel, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Baden-Württembergs Regierungschefs Winfried Kretschmann (Grüne) plädieren für ein zeitnahes Spitzentreffen. Neben einem landesweiten Lockdown nach Weihnachten könne dieses auch bundesweit einheitliche Maßnahmen in Hotspots beschließen.