Fortsetzung im Zivilcourage-Prozess: Erhellende Erkenntnisse über eine Messerstecherei im Bietigheimer Bürgergarten erhoffte sich das Landgericht bei der Befragung der jungen Männer, die in eine Schlägerei eingegriffen hatten. Danach war aber niemand wirklich klüger.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen/Heilbronn - Vier junge Männer greifen am Abend des 7. September 2018 ein, als im Bürgergarten in Bietigheim-Bissingen zwei 19-Jährige einen Dritten verprügeln. Zwei der Streitschlichter kassieren schwere Schnittverletzungen, die ihnen einer der 19-Jährigen zugefügt haben soll. Dieser sitzt seitdem in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft Heilbronn wirft ihm versuchten Totschlag vor. Der Angeklagte wiederum sagt vor dem Richter-Trio und den Schöffen, er habe nur in Notwehr gehandelt: Die selbst ernannten Streitschlichter hätten ihn mit einem Tritt gegen die Brust niedergestreckt und ihn mit einem Messer bedroht.

 

15 Zentimeter lange Schnitte

Diese Version erhärtete sich beim Verhandlungstermin am Freitag nicht: Die vier Freunde, die an besagtem Abend mit weiteren Kumpels zum Chillen, Musikhören und Shisha-Rauchen im Bürgergarten zusammensaßen, den Streit bemerkten und schließlich eingriffen, beteuerten im Zeugenstand, kein Messer verwendet und ohnehin nichts mit Waffen am Hut zu haben.

Davon abgesehen brachten ihre Aussagen nicht die erhoffte Klarsicht: So unübersichtlich es offenbar in der Dämmerung jenes Septemberabends am Tatort zuging, so diffus war auch das Bild, das sie von dem Geschehen zeichneten. Wer welchen der beiden Aggressoren wann schubste und zu Boden brachte wurde ebenso wenig klar wie die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte in dem Gerangel zustach. Die Aussagen wichen öfter voneinander ab.

Die Hände voller Blut

Einen 15 Zentimeter langen Schnitt, der unter dem Ohr den Hals entlang bis zum Schädelansatz führte, trug ein 23-Jähriger davon, außerdem einen 15 Zentimeter langen Schnitt an der Rippe. Passiert sei das im Handgemenge mit dem Angeklagten, berichtete er. „Irgendwann habe ich bemerkt, dass meine Hände voller Blut sind und mir ganz schummrig wurde.“ Einer seiner Freunde, ein 22-Jähriger, erlitt ebenfalls schwere Schnittverletzungen. „Wenn ich das Messer gesehen hätte, hätte ich vielleicht anders gehandelt“, sagte er.

„Zwei gegen einen ist feige.“

Warum sie überhaupt eingegriffen hätten, wo doch das Opfer nicht um Hilfe gerufen habe, wollten die Richter wissen. „Weil er immer wieder geschrien hat, dass sie ihn in Ruhe lassen sollen, und weil zwei gegen einen feige ist“, erklärte ein dritter Zeuge. Das Opfer habe zwar gerufen, sie sollten aufpassen, der Angreifer habe ein Messer bei sich. „Aber lieber werde ich abgestochen, als dass mein Bruder oder mein Kumpel abgestochen wird.“

Der Kumpel des Angeklagten, gegen den ein gesondertes Verfahren läuft, will erst aussagen, wenn er sich noch einmal mit seinem Rechtsanwalt abgesprochen und anstehende Schulprüfungen hinter sich hat. „Denken Sie daran“, mahnte der Verteidiger des Angeklagten, „wie wichtig Ihre Aussage für meinen Mandanten ist.“ Die Verhandlung wird fortgesetzt.