Ein kurdischstämmiger Deutscher hat einen Pro-Palästina-Demonstranten mit dem Messer schwer verletzt. Das Gericht muss die Frage klären: versuchter Totschlag oder Notwehr?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Im Gericht wird von einer Inaugenscheinnahme gesprochen, wenn Videos als Beweismittel betrachtet werden. An der 1. Strafkammer des Landgerichts entwickelt sich das zu einem Suchspiel, das da lautet: „Wer findet die goldfarben Schuhe?“ Solche hat der Angeklagte Dyiar A. (22) am Tattag den 15. Mai getragen. Diese Auffälligkeit ist auf den Bildern einer Überwachungskamera und einem Zeugenvideo einigermaßen gut zu erkennen.

 

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Die Staatsanwaltschaft legt dem kurdischstämmigen Deutschen versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung zur Last. Der Angeklagte streitet gar nicht ab, am Ende einer propalästinensischen Demonstration zweimal mit einem Messer auf Mohamad A.-H. eingestochen zu haben. In einer von seinem Anwalt Andreas Baier verlesenen Erklärung gibt Dyiar A. aber an, aus Notwehr gehandelt zu haben. Er sei mit einer Flasche beworfen und zusammen mit einem Bekannten von Demonstranten nach einem Streit auf der Unteren Königstraße verfolgt, getreten und geschlagen worden. Mohmad A.-H. erlitt von der 8,5 Zentimeter langen Klinge zwei Stichverletzungen, eine in der Schulter und eine im Brustbereich. Für die Folgen entschuldigte sich der Angeklagte.

Wie viel Politik steckt in diesem Fall?

Notwehr oder eine Tat mit möglicherweise politischem Hintergrund. Letzterer Vermutung widerspricht Verteidiger Andreas Baier: „Es sind doch hier nicht Kurden und Türken aufeinandergetroffen.“ Wobei diese beiden verfeindeten Lager im Rahmen der Demonstration sehr wohl aneinandergeraten sind. Nämlich zu Beginn der Veranstaltung auf dem Marienplatz. Dort ist Dyiar A. aber offenbar nicht gewesen.

Der Marsch in die Innenstadt war gegen den Staat Israel gerichtet, der sich im Mai in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit den radikal-islamischen Palästinensern im Gazastreifen befand. Möglicherweise solidarisierten sich auch nationalistische Türken mit den palästinensischen Zielen.

Auf der Unteren Königstraße kam es dann zum Zusammentreffen zwischen ein kleiner Gruppe von Kurden und Demonstrationsteilnehmern. In der Folgen flogen Fäuste und Flaschen, ehe es zu den Messerstichen kam. Der arabischstämmige Geschädigte bemerkte zunächst gar nichts von seinen Verletzungen, ging danach noch in die Klett-Passage, wo er dann zusammenbrach. Der Prozess wird am 9. November fortgesetzt.