Mesut Özil taucht ab und äußert sich nicht über rassistische Beleidigungen. Andere Nationalspieler aus Zuwandererfamilien sagen deutlicher, was sie vor allem bei Niederlagen an Verachtung und Hass erleiden müssen.

Berlin - Es sind WM-Spieler wie der Deutsche Mesut Özil, der Schwede Jimmy Durmaz, der Schweizer Granit Xhaka oder der Belgier Romelu Lukaku, die den Blick weglenken vom Fußball auf ein hässliches gesellschaftliches Phänomen. Sie alle leiden unter einer latenten Ablehnung und einem durch soziale Medien noch verstärkten Rassismus, der Sportler aus Zuwandererfamilien besonders trifft, wenn es mal nicht so läuft. Der Umgang von Mannschaftskameraden und nationalen Verbänden mit diffamierenden Verbalattacken fällt vor und während der Fußballweltmeisterschaft in Russland unterschiedlich aus.

 

Mesut Özil: Rassismus weitgehend ausgeblendet

Auch im vermeintlichen Klarstellungs-Interview von DFB-Manager Oliver Bierhoff zur Causa Özil am Freitag tauchte ein wichtiger Aspekt nicht auf: Fremdenfeindlichkeit. Dass der Nationalspieler mit türkischen Wurzeln - immerhin Weltmeister 2014 - nach seinen umstrittenen Fotos mit Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht nur sachlich kritisiert wird, sondern im Zentrum einer Hass-Kampagne von Rechtsaußen steht, spricht der Verband nicht offensiv an. So vermissen viele Fans des in Russland erfolglosen deutschen Teams eine schützende Hand über Özil. Eher haben sie den Eindruck, dass der 29-jährige Ex-Schalker nun den Schwarzen Peter der WM-Pleite zugeschoben bekommt.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel verlieh schon während der Vorrunde ihrer Freude über Özils Bank-Verbannung gegen Schweden Ausdruck: „AfD wirkt“, schrieb sie auf Twitter zu einer „Kicker“-Meldung - und setzte ein Zwinker-Smiley dazu. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch hatte bereits nach dem deutschen EM-Aus 2016 gefragt, ob nicht mal wieder „die deutsche NATIONALMANNSCHAFT spielen“ sollte. Und ihr Parteikollege Alexander Gauland sorgte für Empörung, als er behauptete, WM-Abwehrchef Jérôme Boateng werde im eigenen Land als fremd empfunden. „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“

Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler analysierte fremdenfeindliche Verbalattacken auf deutsche Nationalspieler mit Migrationshintergrund in der Berliner „tageszeitung“ (taz) so: Dahinter stehe „das Projekt, unsere Einwanderungsgeschichte zu leugnen“. Rechtspopulisten und Rechtsradikale planten indes, „ein Projekt der Remigration einzuleiten, anstatt die Ankömmlinge, und mögen sie die Kinder oder Enkel von Migranten sein, möglichst gut zu integrieren“. Daher agiere etwa die AfD „auf der symbolischen Ebene gegen Spieler mit Vornamen wie Jérôme oder Ilkay oder Mesut. Wenn diese dann fußballerisch keinen guten Tag haben, wird das ausgenutzt - und sie werden zu Sündenböcken“, sagte Münkler dem Blatt.

Jimmy Durmaz: Musterbeispiel für Krisenbewältigung

Als der 29-jährige Mittelfeldspieler des FC Toulouse in der 94. Minute des WM-Vorrundenspiels Schweden gegen Deutschland Timo Werner foulte und Toni Kroos den fälligen Freistoß zum 1:2 versenkte, brach im Netz ein hasserfüllter Shitstorm los. Von „Taliban-Hurensohn“ bis zur Drohung „Wenn du unser Land nicht verlässt, bringen wir dich und deine Familie um“ - die rassistisch unterlegte Wut meist anonymer „Hater“ auf den schwedischen Vollbartträger mit türkischen und syrischen Wurzeln kannte keine Grenzen mehr.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven nannte die Anfeindungen „erbärmlich“, der Fußballverband kündigte Strafanzeigen an. Durmaz selbst sagte unter Tränen: „Ich bin schwedisch und stolz darauf, das Trikot und die Flagge zu tragen.“

Was aber am meisten berührte, war die Reaktion seiner Mitspieler: „Fuck Racism!“ skandierte das Team und klatschte Durmaz Beifall. Und Stürmer Marcus Berg sagte: „Es gab zuletzt viel Rassismus in Schweden, es muss sich etwas ändern.“ Mit ihrer Krisenbewältigung waren die Skandinavier bei dieser von vielen rechtspopulistischen Untertönen begleiteten WM definitiv titelreif.

Granit Xhaka: Konter gegen Steinzeitkommentare

Im Gegensatz zu Durmaz, der lediglich ein folgenschweres Foul auf dem Platz begangen hatte, irritierte der beim FC Arsenal in London spielende Mittelfeldmann mit einer provokanten politischen Geste. Wie auch sein Schweizer Teamkamerad Xherdan Shaqiri formte der 25-jährige mit albanisch-kosovarischen Vorfahren und doppelter Staatsbürgerschaft während des WM-Spiels gegen Serbien mit den Händen einen Doppeladler wie auf der albanischen Flagge.

Doch es blieb nicht bei einer Geldstrafe der FIFA für Xhaka. Der Schweizer Verbandsgeneralsekretär Alex Miescher schlug kurz nach dem WM-Aus gegen Schweden vor, keine Doppel-Staatsbürger mehr in der „Nati“ kicken zu lassen - der Beifall vieler rechtsgerichteter Bürger im Nachbarland war ihm gewiss. Xhaka sprach in einem Interview der Schweizer Nachrichtenagentur SDA von Steinzeit-Kommentaren - und konterte Mieschers Vorstoß.

Der frühere Gladbacher verwies darauf, dass mehr als die Hälfte der heutigen Schweizer Nationalspieler Doppelstaatsbürger seien - und auch Auswahltrainer Vladimir Petkovic. „Sogar unser Chef ist Doppelbürger und gibt Blut und Schweiß für die Nationalmannschaft.“ Der Verband stellte alsbald klar, man bedauere den Eindruck, gegen Doppelbürger zu sein.

Romelu Lukaku: Nur bei Erfolg ein „echter“ Belgier?

Der bullige Stürmer, dessen Eltern aus dem Kongo stammen, ist einer der besten Spieler dieser WM. Der Belgier hat erst kürzlich über seine Jugend in ärmlichen Verhältnissen berichtet - und auf Rassismus auch rund um die Nationalmannschaften hingewiesen. Wenn es gut laufe, sei er „der belgische Stürmer“ - wenn nicht, dann eben nur noch „Romelu Lukaku, der belgische Stürmer kongolesischer Herkunft“.

Weil im Team der Roten Teufel bis zum Erreichen des WM-Halbfinales alles optimal klappte, geht es auch dem 25-jährigen Schwarzen einstweilen gut. Doch seine Erfahrung, ganz schnell wieder „außen vor“ zu sein und womöglich diffamiert zu werden, teilt Lukaku mit vielen anderen Spielern aus Zuwandererfamilien. Auch in Frankreich und den Niederlanden gab es zuweilen große Rassismus-Probleme.