Mexiko-Stadt führt nach zwölf Jahren wieder die Führerscheinprüfung ein. Fußgänger, Radfahrer und zimperliche Wagenlenker sind Freiwild in der zweitgrößten Stadt der Welt. Auf die Autofahrer kommt etwas zu.

Korrespondenten: Klaus Ehringfeld (ehr)

Mexiko-Stadt - Es gibt in Mexiko-Stadt etwa 30 Fahrschulen – für rund 22 Millionen Einwohner. Es ist noch immer eine Menge, wenn man bedenkt, dass eigentlich niemand in der zweitgrößten Stadt des Planeten ihre Dienste benötigt. Zumindest bisher nicht. „Fahren lernt man hier durch Zuschauen oder wenn Dich ein Angehöriger oder ein Freund mal an das Lenkrad lässt“, erzählt Gerardo Gutiérrez, der Leiter der Fahrschule „Imperial“. So sieht es dann leider auf den Straßen auch aus.

 

Fußgänger, Radfahrer und selbst Autofahrer sind in der Metropole echte Selbstmordkandidaten. Auf den Straßen gilt das Recht des Stärkeren, und das bedeutet uneingeschränkt das Recht des Autos. Dem wird in der mexikanischen Hauptstadt mit fast religiöser Hingabe gehuldigt. Fußgänger und Radfahrer gelten als störende Elemente. Abbiegende Autos bremsen nie, wenn ein Mensch zu Fuß die Straße quert. Und wer dennoch auf seinem Recht beharrt, der wird beschimpft oder skrupellos über den Haufen gefahren.

Die Mexikaner fahren wie auf der Kirmes

Ohnehin fahren die Chilangos, wie man die Hauptstadtbewohner nennt, meist so, als seien sie auf der Kirmes. Das tägliche Ringen der fast fünf Millionen Fahrzeuge auf den Schlaglochpisten gleicht einem Autoskooter: Tarnen und Täuschen ist das Prinzip. Dabei telefonieren Mann und Frau besonders gerne beim Fahren und biegen dann von der zweiten Spur ab – selbstverständlich ohne zu blinken. Manchmal wird auch links geblinkt und rechts abgebogen. Es ist nie ganz klar, ob Fahrer oder Fahrerin es nicht anders wollen oder nicht besser wissen.

Denn bis jetzt konnte sich jeder ans Lenkrad setzen, dessen Füße bis an die Pedale reichen. Eine der verkehrsreichsten Städte der Welt hatte bis diese Woche überhaupt keine Führerscheinprüfung. Man ging einfach zum Bezirksamt und kaufte sich die Fahrerlaubnis. Kostete 704 Pesos, umgerechnet 37 Euro. Das war allerdings nicht immer so. Vor zwölf Jahren schaffte die Regierung von Mexiko-Stadt die Fahrprüfung einfach ab, um der Korruption keinen Vorschub mehr zu leisten. Denn von der obligatorischen Prüfung kauften sich die Antragsteller gerne mit der „Mordida“, dem Bestechungsgeld, frei. Ohne Prüfung kein Schmiergeld – eine bestechende mexikanische Logik. Aber niemand dachte an die Folgen für den Straßenverkehr.

Es wird auch Tempo-30-Zonen geben

Daher ist mit dem Laissez-faire jetzt Schluss. Seit Dienstag ist eine neue Straßenverkehrsordnung in Kraft, die Ordnung ins Chaos bringen soll. Von nun an dürfen auch die Radfahrer nicht mehr mit dem Handy telefonieren und werden bestraft, wenn sie in der Einbahnstraße gegen den Strich fahren. Die Höchstgeschwindigkeit wird von 70 auf 50 Stundenkilometer gesenkt und es wird Tempo-30-Zonen geben. Aber viel wichtiger: Die Führerscheinprüfung kehrt zurück. Theorie, Praxis, Sehtest – so wie es sich gehört – gilt jetzt auch für die Chilangos. Theoretisch. Denn man hört aus der zuständigen Behörde „Secretaria de movilidad“, dass es noch am nötigen gesetzlichen Rahmen für die Prüfungen und vor allem dem Budget fehle. Daher lässt die Umsetzung der neuen Anforderungen noch ein wenig auf sich warten. Erst Anfang 2016 soll es soweit sein.

Also können sich die künftigen Autofahrer schon mal geistig auf das Einstellen, was international normal ist. Allerdings gilt das Führerscheingebot nicht rückwirkend.

Niemand kennt hier die Verkehrsregeln

Die Mehrheit der Hauptstadtbewohner würde derzeit ohnehin keine Führerscheinprüfung bestehen. Wenn man die Mexikaner in ein Auto mit Gangschaltung setzt, wissen sie nicht, was sie mit dem dritten Pedal machen sollen. Sie glauben, der Warnblinker sei nur dazu da, um am Taco-Stand zu halten und die Straße zu versperren und die Ampel gilt den meisten Verkehrsteilnehmern als farblich-dekoratives Element. Und das Einparken? Kann keiner. Dafür gibt es nämlich die Parkplatzeinwinker, eine aufstrebende Berufssparte in Mexiko.

Niemand hier hat eine Ahnung, was Höchstgeschwindigkeit in der Innenstadt ist oder dass Parken in zweiter Reihe verboten ist. Kaum ein Verkehrsteilnehmer weiß überhaupt, dass es ein „Reglamento de transito“ gibt, eine Straßenverkehrsordnung, die all diese Fragen regelt. Die Ahnungslosigkeit am Steuer hat aber auch ihren Preis. In Mexiko-Stadt sterben nach Angaben der Stadtregierung täglich statistisch drei Personen im Straßenverkehr.

In Mexiko-Stadt herrscht tagsüber Dauer-Stau

Aber vielleicht liegt die Anarchie auf den Straßen auch daran, dass den gestressten Autofahrern einfach die Sicherungen durchbrennen. Denn im Auto steht man in Mexiko-Stadt eigentlich mehr, als dass man sich fortbewegt. Mit zehn Kilometer pro Stunde schleicht der Verkehr in der Stoßzeit vorwärts und die ist eigentlich immer zwischen sieben und 21 Uhr.

In einer Umfrage wurde Mexico City vor einigen Jahren zur Stadt mit dem größten Verkehrschaos unter 20 Weltmetropolen gekürt. Nirgends auf dem Planeten leidet der Autofahrer mehr. Ähnlich schlecht fühlen sich nur Fahrzeug-Lenker im chinesischen Shenzen und in den afrikanischen Megastädten Johannesburg und Nairobi.

Nun also soll der Führerschein Besserung bringen. Aber dazu müsste erst mal die Berufsgruppe der Fahrlehrer deutlich vergrößert werden. Gerardo Gutiérrez von der Fahrschule Imperial jedenfalls sucht jetzt neue Lehrer.