Es gibt ein Leben nach dem ESC: Michael Schulte unterhält im ausverkauften Wizemann in Stuttgart am Samstagabend mit süffigem Mainstreampop.

Stuttgart - Unergründlicher ESC: Beim Eurovision Song Contest – beziehungsweise zuvor beim „Grand Prix d’Eurovision de la Chanson“ – erlebten spätere Weltstars ihre Geburtsstunde (man denke an ABBAs „Waterloo“-Triumph 1974 in Brighton) und in Vergessenheit geratene One-Hit-Wonder ihren dritten Frühling (wie 1997 Katrina & The Waves).

 

Und es wurden Sternchen über die Bühnen dieser Welt geschoben, deren Karriere gefühlt nur unwesentlich länger dauerte wie die Saison für Lebkuchen und Schoko-Osterhasen – oder erinnert sich tatsächlich noch jemand an ein Dancepop-Leichtgewicht wie die 2013 für Deutschland gestartete Sängerin Cascada?

Ein seriöses und durchaus respektables Plätzchen zwischen diesen Extremen hat sich Michael Schulte erarbeitet, Deutschlands ESC-Teilnehmer des vergangenen Jahres. Es gab ihn als etablierten Musiker schon viele Jahre vor seinem Einsatz in Lissabon, und auch nach dem Abflauen des ESC-Wirbels bleibt der Songwriter aus Eckernförde ganz bei sich und auf der Erfolgsspur.

Vanilleeis des deutschen Pops

Bei seinem Konzert im Wizemann ist der Clubbereich am Samstagabend mit fünfhundert Besuchern restlos ausverkauft, und wenn Schulte statt 340 nur 34 Punkte mit nach Hause gebracht hätte – es hätte daran vermutlich nicht viel geändert. Denn Musiker wie Michael Schulte sind das Vanilleeis im deutschen Pop, und Vanilleeis geht immer, es wird noch tausendhektoliterweise in deutschen Eisdielen gegessen, wenn Modesorten wie Rhabarber-Basilikum oder Cherry-Cheesecake mit Chiliraspeln schon längst wieder verschwunden sein werden. Wer gut gesüßten Poprock mag, der sich gefällig um die Geschmacksnerven legt, hat im Wizemann denn auch einen ziemlich runden Abend erlebt.

Unterstützt von einer vierköpfigen Band – Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboards – geht es durch einen gut neunzigminütigen Auftritt, der kaum Wünsche offen lässt. Umso mehr, als dass Schulte seine Lieder tüchtig mit jenen nonverbalen Gesangsmelodien garniert, die längst zum Universaldüngemittel der deutschen Musikszene geworden sind oder vielmehr zum Glyphosat der Branche: Wo die heimische Songwritergilde ihre „hohoho“-Mitsingphrasen auswalzt, gedeiht das Pathos in praller Pracht – Subtileres hingegen wird ausgemerzt, Reflexionen und Perspektivwechsel haben hier keinen Platz mehr.

Gute-Laune-Event zwischen Pop und Songwritertum

Sehr schön lässt sich das an „You said you’d grow old with me“ beobachten, einem Song über eine gescheiterte Beziehung– ein Erlebnis also, das man mit genug Abstand auch mit Ironie oder sogar Selbstironie kommentieren könnte. Schulte hingegen entscheidet sich für pure Selbstergriffenheit, berichtet, wie viele Menschen ihm für dieses Lied gedankt und sich in ihm wiedergefunden hätten. So bleibt dieser Song – wie auch der gesamte Abend – reines Gefühlskino. Das aber inszeniert Michael Schulte durchaus gekonnt. Ausgiebig nutzt er sie, die „Hohoho“-Chöre, in ungefähr jedem dritten Song kommen sie zum Einsatz und machen den Abend über weite Teile zu einem Gute-Laune-Event zwischen Pop und Songwritertum.

Nur sehr sporadisch wechselt ab und an die Klangfarbe, ein Akkordeon bringt folkloristisch-tanzbare Töne ins Spiel, ein, zwei Mal blitzen Rockelemente und elektronisch gestützter Psychedelic-Pop auf. Hübsch sind diese Momente, sozusagen die Krokantstreusel auf dem Vanilleeis, mehr aber auch nicht – für wirklich kühne Kreationen will sich Michael Schulte nicht zuständig fühlen.