Es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit dem Mordanschlag auf „Charlie Hebdo“: In Köln hat der französische Schriftsteller Michel Houellebecq die deutsche Ausgabe seines Romans „Unterwerfung“ vorgestellt.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Ausverkauft, seit Wochen. Normalerweise kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, irgendwas geht immer. Wenn aber ein Buch so ins Visier der Öffentlichkeit geraten ist, wie es Michel Houellebecqs neuem Roman „Unterwerfung“ nach den Pariser Attentaten widerfahren ist, sieht die Lage anders aus. Dann bekommt man es mit Pressereferentinnen zu tun, die mit sich täglich in nervösere Höhen schraubenden Stimmen erklären, dass man selbst als Präsident François Hollande persönlich keine Extrawurst gebraten bekäme, die man etwa in eine Karte für den einzigen Deutschlandauftritt des hartnäckig als Skandalautor apostrophierten Schriftstellers in Köln eintauschen könnte.

 

Nun ist die Wahrscheinlichkeit, gerade mit Hollande um einen der begehrten Plätze im Theater zu konkurrieren, mit Sicherheit gering. Ohne Not würde er sich wohl kaum der vernichtenden Kritik aussetzen, die der Roman an der französischen Politikerkaste übt, aus deren Versagen ja alles weitere schon in wenigen Jahren folgt: die Agonie der Grande Nation, aus der sie 2022 durch den Wahlsieg des fiktiven muslimischen Präsidenten Ben Abbas geweckt wird, sowie die Islamisierung erst der französischen, dann der europäischen Gesellschaft. Es sind literarische Ereignisse, die gleichwohl noch in ihrer satirischen Überspitzung so nah an die Wirklichkeit heranführen, dass ihr Autor unter Verdacht geriet, nicht nur einen Roman, sondern auch das Drehbuch der laufenden Ereignisse geliefert zu haben, die in dem Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ kulminierten – just an dem Tag, als Houellebecq als zahnlose Kassandra dessen Titelseite zierte.

Brummende Medienmaschine

Die Lesung, gleichzeitig der vorgezogene Auftakt des Literaturfestivals Litcologne, ist ein Dank des Autors an seinen deutschen Verlag Dumont, der in Köln seinen Sitz hat. Ein Dank freilich, der beiderseitig ausfallen müsste: 150 000 Exemplare der ersten beiden Auflagen sind bereits ausgeliefert; eine dritte und vierte Auflage wird gerade vorbereitet. Auch ohne Hollande entspricht das Sicherheitsaufgebot einem Staatsbesuch. Deshalb werden keine Kompromisse gemacht, keine zusätzlichen Plätze angeboten, dafür eine Live-Übertragung im Internet. Das Theater der Domstadt ist zurzeit wegen Sanierungsarbeiten in einem Ausweichquartier untergebracht. Wie der Zufall will, liegt es in nächster Nähe zum Schauplatz des Nagelbombenattentats des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Eine nicht überflüssige Erinnerung daran, dass der Terror von rechts in Deutschland schneller war als der islamistisch geprägte.

Manchen gelten Lesungen ja als aussterbende Kunstform. Doch hier brummt die Medienmaschine. Dutzende von Fotografen haben sich akkreditiert, alle wollen ein Bild von jemandem ergattern, dessen Erscheinung radikal allen Selbststilisierungsformen des sonst so eitlen Kulturbetriebs zuwider läuft. Oder anders gesagt: der vom Leben reichlich vermackte Mann von 57 Jahren, der an der Seite seiner adretten Übersetzerin, des Moderators Nils Minkmar und des Schauspielers Robert Dölle in verbeultem Parka und Hochwasserhosen ungewisser Färbung auf die Bühne stolpert, sieht nicht so aus wie jemand, der für ein Buch werben möchte, eher wie der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung.

Gelangweilter Analsex

Er kramt in der Manteltasche, zückt ein schmieriges Blöckchen und nuschelt erst einmal eine an die Journalisten adressierte Erklärung in den Saal, um, wie er sagt, nicht in einer Endlosschleife immer wieder beteuern zu müssen: dass erstens sein Roman kein islamfeindliches Buch sei, zweitens aber jeder das Recht haben müsse, ein solches zu schreiben. Man könne verlangen, dass der Staat dieses Recht schützt. Dass es aber auch eine Frage der Verantwortung sein könnte, mit der Freiheit achtsam umzugehen, weist Houellebecq zurück: „,Charlie Hebdo‘ war ganz bewusst ein Magazin ohne Verantwortung.“

Dann sinkt der Autor erst einmal wieder in seinen Sessel, zippelt an dem schwarzen Leibchen, das er unter seinem weit geöffneten Jeans-Hemd trägt, und lauscht dem Schauspieler Robert Dölle. Der liest ausgewählte Passagen des Romans, wobei Houellebecq es besonders zu genießen scheint, sein neugieriges Publikum weniger mit den politischen Erörterungen seines Buches zu beglücken als mit der sexuellen Frustrationsgymnastik seines Protagonisten. Jedenfalls ist mehr von gelangweiltem Analsex als von gemäßigtem Islamismus die Rede, im Roman verhalten sich die Anteile gerade umgekehrt.

Bei der nun folgenden Befragung tut man gut daran, sich an die Eigenart zu erinnern, die man anderen Orakeln nachsagt: undeutliches Stammeln, rätselhafte Winke, Knurren. So hellsichtig und klug sein Roman ein denkbares politisches Szenario durchspielt, so unergiebig erweist sich Houellebecq als sein eigener Interpret.

Rauchender Prophet

Ob er die Konsequenzen gut finde, auf die seine Romane hinausliefen, in diesem Fall eine islamische Regierung, die trotz wirtschaftlicher Erfolge die Rechte der Frauen einschränke? „Buff.“ Dann, nach einer Phase nonverbaler Ratlosigkeit: „Keine Ahnung“. Pause, Räuspern, Geräusche: „Aber es spricht doch einiges für die Vorstellung, dass Biologie stärker als Ideologie ist; die Bevölkerung mit den meisten Kindern setzt am Ende ihre Werte durch.“ Könnte von seinem Buch nicht der rechtsextreme Front National profitieren? „Mir egal, im übrigen hat noch niemand seine Meinung wegen eines Buches geändert.“ Was den Front so gefährlich mache? „Das ist kompliziert, ich muss erst einmal eine rauchen und drüber nachdenken.“ Und dann raucht er, nuggelt an der Zigarette, als könnte man sich an ihr für das ganze Leiden an der Gegenwart entschädigen.

Immerhin, das Nachdenken fördert durchaus plausible, wenn auch keine unerhörten Thesen zutage. Marine Le Pen vom Front National habe geschickt die anti-europäische und die anti-islamische Bewegung absorbiert, ihr stärkste Waffe aber sei die Nostalgie: das Bild eines unabhängigen Frankreichs, von Amerika wie seinen Nachbarn, das Frankreich de Gaulles.

Bei den nächsten Wahlen 2017 erwarte er einen weiteren Rechtsruck. Würde Hollande dann trotzdem noch einmal gewählt, könnte das schlimm enden. Es ist genau die Situation, die sein Roman beschreibt. Wohin sie führt, malt zum Abschluss noch einmal der Schauspieler Robert Dölle aus, in einer Passage, die den islamischen Sinn des Wortes „Unterwerfung“ auf den des Sadomaso-Klassikers „Geschichte der O.“ reimt.